Betriebsvorschriften in Anschlussgleisen

Seit dem Abtreten der Anschlussgleise von SBB-Infrastruktur an die jeweiligen Gleisbesitzer nehmen die Betriebsvorschriften immer grössere Ausmasse an. Neuerdings müssen bei den jeweiligen EVU’s Prüfungen dazu abgelegt werden. Betroffen ist jeder einzelne Lokführer / Rangierarbeiter, der diese Anlagen befährt. Es ist sogar angedacht, diese Vorschriften zukünftig periodisch zu prüfen. So werden für die rund 1’500 Anschlussgleise in der Schweiz eigene separate Vorschriften erstellt. Diese umfangreichen Werke werden vom BAV geprüft und genehmigt. Für die Anwender ist es eine Zumutung, alle diese Dokumente spontan auswendig zu kennen. Mit der Abgabe der PDFs an das Personal wird die Verantwortung abgeschoben. Ein praktikabler Prozess sieht anders aus.

Bei grossen Anschlussgleis-Anlagen mit eigenem Lok- und Rangierpersonal würden eigene Vorschiften nach der Übergabestelle eine gangbare Möglichkeit darstellen. Jedoch ist es übertrieben für das Zustellen von Wagen in einzelne «externe» Gleise je ein eigenes Regelwerk zu erstellen. Es handelt sich meist um Rangierfahrten mit etwelchen örtlichen Spezialitäten, welche oft selbsterklärend sind. In der Praxis wird wie bisher mit Vorsicht gefahren, was den Betrieb aufrecht hält. Durch die vielen Vorschriften und Prozesse und die eigentlich notwendigen Instruktionen und Schulungen droht eine Preissteigerung unter dem Deckmantel der Sicherheit. Diese fadenscheinige Sicherheitsverbesserung lässt sich nur sehr schwer mit den Schweizerischen-Fahrdienstvorschriften und dem Verlagerungsziel vereinbaren. Mit der fortschreitenden Zerstückelung der Eisenbahn, dem Abtreten der Verantwortung an die EVU’s und Gleisbesitzer wird der Güterverkehr gegenüber der Strasse klar benachteiligt.

Diese kleinliche, praxisfremde Selbstbeschäftigung verteuert die Produktion des Schienengüterverkehrs erheblich. Würde das Personal korrekt geschult und das Wissen wiederholt aufgefrischt, würde das Lok- und Rangierpersonal wohl ein Tag in der Woche Selbststudium betreiben, anstatt zu fahren.

Ein Musterbeispiel dieser Auswüchse sind die neuen Betriebsvorschriften für das Tanklager in Mellingen AG der Tankanlage AG TAMAG. Dort müssen normalerweise die «Lok-Halt-Tafeln» und die Signale «Halt für Triebfahrzeuge mit gehobenem Stromabnehmer» überfahren werden, damit die Kesselwagen am richtigen Ort zum Entladen bereitstehen. Weiter muss beim Hineinschieben des Zuges der Führerstand gewechselt und der Kopf zum Fenster rausgehalten werden, um die gelbe Halte-Markierung am Boden zu sehen. Das ist bei den Toren und Masten sehr gefährlich, da sie sehr nahe am Profil stehen. Bei Neubaulokomotiven ohne Seitenfenster ist die Markierung nicht zu sehen.

Beim Führerstandswechsel bräuchte es eine Bremsprobe, welche im 13‰-Gefälle mit der Rangierbremse technisch nicht möglich ist. Das BAV als Aufsichtsbehörde wäre in der Pflicht die Exzesse zu stoppen und für mehr Einheit zu sorgen. Analog den Störungen bei Zugbeeinflussungssystemen. Man muss unseren BAV-Ausweis mit periodischer Prüfung und Weiterbildungstagen in Frage stellen, wenn das für Anschlussgleise nicht mehr genügt.

VSLF, Nr. 758, 13. März 2023 GM