Angebotskonzept Fahrplan 2035: Leistungseinbussen und höhere Kosten

Das Bundesamt für Verkehr BAV und die SBB erscheinen aktuell negativ in der Presse. Im Angebotskonzept des Fahrplans 2035 sind neben einigen Verbesserungen im Perimeter Zürich vor allem grosse Vereinfachungen und Verschlechterungen auf diversen Korridoren geplant. Und dies trotz immenser Investitionen oder noch zu tätigender Innovationen und Ausbauten. Diverse Schlüsselprojekte werden sich jedoch verzögern. Zudem sollen die ICN nicht mehr als Neigezug mit rassigen Fahrzeiten verkehren.

Weiter werden etliche Relationen nicht mehr direkt bedient und diverse Anschlussverbindungen gebrochen. Auch strebt das BAV hin zur Kappung internationaler Verbindungen, was allenfalls bilateralen Vereinbarungen widerspricht und den Nutzen von einheitlichen europaweiten Zugsicherungen weiter anzweifelt. Gestern wechselten an den Grenzen die Lokomotiven den Zug, morgen die Reisenden. Als Randnotiz mutet dazu etwas eigenartig an, dass das BAV den Marktzugang für Flixtrain forciert, mit den bisherigen ausländischen Partnerbahnen jedoch brechen will.

Von den Kantonen, Städten und interessierten Kreisen liess die Kritik nicht lange auf sich warten, womit das Spiel der Schuldzuweisung und der Kostenverteilung begonnen hat. In erster Linie lässt sich festhalten, dass trotz enormer Investitionen in moderne Infrastruktur und Fahrzeuge die Bahnen nicht mehr im Stande sind, alte Fahrzeiten einzuhalten. Offenbar helfen auch moderne spurtstarke Fahrzeuge und digitale Lösungen nicht. Bauarbeiten und Nachfragesteigerungen werden als Erklärung angeboten; wir erkennen vor allem verändertes defensives Fahrverhalten aufgrund externer Einflüsse wie trägere Zugsicherungssysteme, komplexe Prozesslandschaften und divergierende Vorgaben als Ursache.

Zudem erachten wir es als äusserst problematisch, dass das BAV und dessen Angestellte oftmals davon Gebrauch machen, Strategien und persönliche Einschätzungen auf sozialen Plattformen wie LinkedIn zu verbreiten. Eine Bundesbehörde sollte davon absehen. Dies hinterfragt öffentlich und ohne fundierte Erklärung eingeschlagene Wege und Arbeitsmethoden der Bahnen und Infrastrukturbetreiber. Und das wiederum lässt vermuten, dass die Bahnen keine eigenen Kompetenzen besitzen oder keine Fehlerkultur vorhanden ist.

Beispielsweise lässt eben genau die Propagierung der Zulassung von Flixtrain in der Schweiz erwägen, dass die Bahnen zum Spielball von Partikularinteressen degradiert werden. In diesem Fall vermutlich aus europapolitischen Gründen. Während man also den Marktzugang für Preisbrecher-Unternehmen erleichtern will, setzt man bei den bestehenden Kooperationsmodellen voraus, dass diese wie gewohnt fortbestehen, bis man dann eben ab 2035 keine Lust mehr dazu hat. Sieht so ein freier Marktzugang aus?

Tatsache ist, dass die SBB und andere Bahnen ohne das Einverständnis des BAV nichts mehr selbst entscheiden können, sich aber ständig für ihre Arbeit rechtfertigen müssen und dies trotz laufender Strategieänderungen und reaktionärer Massnahmen. Auch die Bestellung der Bombardier-Züge im Umfang von fast 2 Mia. Fr. ist kaum ohne Rücksprache der SBB beim BAV getätigt worden. Vermutlich ist aber eine direkte finanzielle Abhängigkeit ursächlich für dieses Verhalten.

Automatisation und Digitalisierung

Züge ohne Fahrpersonal auf die Reise zu schicken ist ein nach wie vor ein konstanter Punkt in Innovationsprogrammen. Aktuell spricht man aber nicht mehr von führerlosen Zügen auf der Strecke, sondern nur noch von automatischen Rangierfahrten von und zu den Abstellorten. Allenfalls mit einer Kamera und einem Lokführer, der die Fahrt fernüberwacht und die Verantwortung tragen soll. Ausser hohen Kosten sind wenig brauchbare Ergebnisse zu erwarten.

Bezüglich «Grade of Automation GoA - Automatic Train Operation ATO 2», also einer automatischen Fahrt von Zügen und einem reaktionsbereiten Lokführer für den Störungsfall, ist es ruhiger geworden. Es wäre technisch möglich, fördert aber ausser zusätzlichen Kosten für die Installierung von Soft- und Hardware schlichtweg zu wenig positive Attribute zutage und die negativen Aspekte zeigen sich immer offensichtlicher.

Den Problemen der Fahrzeitverlängerungen durch «ETCS Level 1 LS Baseline 3» wird mit steileren Bremskurven begegnet, welche bis 2026 (!) installiert sein sollen, das Grundproblem nicht lösen und primär Sicherheitsmargen ausreizen. Ein Mehrwert gegenüber klassischen Zugsicherungen ist dabei nicht erkennbar. Mittlerweise wird sogar als Lösung der Probleme mit Level 1 LS der Neubau von ETCS Level 2 Strecken favorisiert, wie aktuell zwischen Dagmersellen und Emmenbrücke. Doch auch die Konflikte mit Inselbetrieben unter ETCS L2 offenbaren sich laufend. Und um die vermeintlich positiven Faktoren von ETCS L2 überhaupt vermarkten zu können, bedarf es erst die Einbussen, welche ETCS L1 LS generiert.

Das BAV hat im Juni in der ERTMS-Strategie teilweise festgelegt, dass alle Stellwerke zukünftig mit Führerstandssignalisierung ETCS-Level 2 anstelle der klassischen Aussensignalisierung auszurüsten sind. Ein definitiver Entscheid soll Ende Herbst 2023 fallen. So soll die Strecke (Bern-) Fischermätteli - Schwarzenburg auf ETCS Level 2 umgebaut werden, wofür der VR der BLS einen Kredit von 15,2 Mio. Fr. genehmigt hat.

Es "soll zukunftsweisende Technologie eingesetzt werden und Knowhow für die Anwendung von ETCS-Level 2 auf Regionalstrecken aufgebaut werden". Offenbar sind die Systeme trotz der mittlerweile über 30-jährigen Technologie noch immer in der Versuchsphase und werden im laufenden Betreib getestet.

Neu dürfen somit nur noch ETCS-taugliche Fahrzeuge nach Schwarzenburg eingesetzt werden, womit nicht mehr die gesamte Flotte der BLS einsetzbar wäre und vorzeitig ausser Betrieb genommen wird oder allenfalls teuer aufgerüstet werden muss. Zudem muss das gesamte Lokpersonal der BLS in der Region Bern für ETCS ausgebildet werden, was allein Kosten von mindestens 500'000 Fr. auslöst.

Milliarden Franken für ETCS / Sparen bei den Bahnen

Die aktuellen Entwicklungen deuten darauf hin, dass das ERTMS-System ETCS mit seinen bisherigen Kosten von über einer Milliarde Franken bis 2007 allein in der Schweiz und weiteren zukünftig anfallenden Investitionen, welche primär durch die Eisenbahnverkehrsunternehmen EVU zu bezahlen sind, sich zu einem finanziellen Milliardenloch entwickeln.

In einem Bericht der SBB an das BAV von 2016 werden die Kosten bei einem Totalausbau des Netzes auf ETCS L2 bis 2060 auf 9,5 Mia. Franken geschätzt mit Folgekosten in Form von Zinsen von rund 300 Millionen Franken pro Jahr. Laufende Kosten in Erhalt und Aktualisierung von Hard- wie Software werden verschwiegen oder können nicht eingeschätzt werden.

Hier ist festzuhalten, dass die eigentlichen ETCS-Kosten nicht mehr separat ausgewiesen werden, sondern im Verbund aller Stellwerkkomponenten gerechnet werden. So ist meist nicht ausgewiesen, ob die Stellwerke infolge des Alters, einer notwendigen Kapazitätserhöhung oder zur Einführung von ETCS ersetzt werden sollen. Zudem wird die Verlagerung etlicher Stellwerkkomponenten auf die Fahrzeuge und die dadurch entstehende Kostenverlagerung von Infrastruktur hin zu den Bahnunternehmen nicht dargestellt. Präzise Kostenaufstellungen zu ETCS lassen sich ohnehin seit langem nicht mehr finden.

Weiter stellt das BAV den Infrastrukturen für weitere ETCS- bzw. ERTMS-Ausbauten im Netz über die Leistungsvereinbarungen mehrere hundert Millionen Franken zur Verfügung. Für die erfolgreiche Umsetzung der zukünftigen Infrastrukturprojekte müssen aber auch die einzusetzenden Fahrzeugflotten über die erforderlichen ERTMS-Einrichtungen verfügen, was pro Führerstand Kosten von etwa 500’000 Fr. auslöst. Die Kosten für die EVU sind durch die Besteller, also Kantone und Gemeinden, zusätzlich zu finanzieren und werden insbesondere den Regionalverkehr zusätzlich massiv verteuern. Diese zusätzlichen Kosten sind nicht über die Leistungsvereinbarungen gedeckt!

Festzuhalten ist, dass trotz dieser gewaltigen Investitionen weder die Kapazitäten und Sicherheit erhöht noch die Fahrzeiten gesenkt werden können.

Bei den Finanzierungsmodellen, welche in erster Linie auf Subventionierungen und Querfinanzierungen fussen, lässt sich festhalten, dass diese sich kaum transparent darstellen lassen oder dies bewusst der Diskretion unterliegt. In erster Linie werden die Projekte jedoch durch Steuern und Leistungsabgaben im Strassenverkehr, also bahnfremd, finanziert. Nur solange man bereit ist, für einen immer teureren öV immer mehr zu bezahlen und dafür Qualitätseinbussen in Kauf nehmen, hat dieser Mechanismus weiter Zukunft.

Eine günstige und qualitativ gleichwertige Alternative zur ERTMS-Strategie gäbe es in der Weiterführung der klassischen Zugsicherungen mit leichten Adaptionen für nationale Fahrzeuge. Zumal das Schweizer Schienennetz die europäischen ETCS-Vorgaben bereits als eines der wenigen Länder vollumfänglich erfüllt und somit netzoffen wäre, insbesondere für die Korridor-Linien des Güter-Transitverkehrs. Es beständen für Binnenlösungen gewisse Spielräume, welche von diversen EU-Mitgliedsstaaten genutzt werden. So führt beispielsweise Belgien das nationale Zugsicherungssystem TBL 1+ weiter und Deutschland bestellt die neuesten ICE-Züge weiterhin parallel mit alten PZB-/LZB- und neuen ETCS-Zugsicherungen. Auf Bestandsflotten wird dies in der Schweiz ebenfalls praktiziert. Auf die Frage, weshalb der Parallelbetrieb von effizienten klassischen Zugsicherungen ZUB/Integra und dem rein bedarfsorientierten Einsatz von ETCS-Komponenten in internationalen Korridoren nicht möglich sein soll, wird lediglich auf das Alter der klassischen Zugsicherungen und diverse Strategien verwiesen.

Verteilkampf ist eröffnet

Dass die öffentliche Hand über Einsparungen beim öV nachdenkt, kommt nicht unerwartet. Die Gegenargumentation der SBB in Form einer Drohung, dass bei einer Kürzung der Mittel der Infrastruktur die Sicherheit vermindert würde, überrascht dabei. Es zeigt vor allem ein neues Niveau in der Argumentation für öffentliche Gelder und den Druck auf die Finanzierungsmodelle. Es kann auch interpretiert werden, dass die bestehende Sicherheit nun neu unter ETCS einfach nur zu viel höheren Preisen zu haben ist.

Engagement des VSLF

Uns erreichen Meldungen der Mitglieder, dass ein Berufsverband sich primär um die Anstellungsbedingungen und nicht um Zugsicherungssysteme kümmern sollte.

Mit den enormen finanziellen Auswirkungen für das ETCS, welche die Möglichkeiten und Entwicklungen der Bahnen massiv mindern und hemmen, werden das Lokpersonal und die Angestellten der Bahnen direkt betroffen. Dazu kommt, dass die einschneidenden Eingriffe der Systeme in die Kompetenzen des Lokpersonals, deren Verantwortungsbereich und deren Fahrweise einen Einschnitt in die Berufsausübung darstellen und wird deshalb ebenfalls durch den VSLF thematisiert.

Die Erkenntnis, dass die Komplexität, die Verringerung der Kapazitäten, die exorbitanten Kosten und die minimale Erhöhung der Sicherheit der ETCS-Technologie keine Vorteile für die Bahnen bringt, wächst bei vielen Verantwortungsträgern rasant.

Der VSLF unterstützt zukunftsfähige Technologien, welche zu vertretbaren Kosten das Lokpersonal unterstützen und den Bahnen Vorteile generieren. Dies ist bei den meisten der angedachten Systeme aber nicht der Fall.

Dank unserer Unabhängigkeit können wir es uns leisten, die Fakten neutral, sachlich, logisch und im Zusammenhang zu erläutern. Wir sind niemandem verpflichtet ausser dem Lokpersonal und somit den Eisenbahnen.

VSLF, Nr. 774, 10. August 2023, FA

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