ETCS / Zugbeeinflussung / ATO


ATO/AFAS Betriebsversuch bei der SOB

Der Betriebsversuch der SOB mit automatisch fahrenden Zügen lässt Fragen in Bezug auf das Kosten-/Nutzenverhältnis offen. Die Verantwortung soll dabei allein beim Lokpersonal verbleiben. Gleichzeitig steigt die Monotonie, doch nicht nur diese Diskrepanz beeinflusst die Sicherheit negativ. Die Rekrutierung von geeignetem Personal wird sich in Zukunft weiter erschweren.


Geplanter Betriebsversuch

Die SOB AG plant mit dem Einsatz des Fahrassistenzsystems AFAS den teilautomatischen ATO-Fahrbetrieb im Betriebsmodus GoA2 aufzunehmen. Dieser Betriebsversuch soll ab Herbst 2024 im Regelbetrieb zwischen Biberbrugg und Arth-Goldau stattfinden. Grade of Automation GoA2 bedeutet, dass der Zug die Fahrt selbständig durchführt, das Lokpersonal jedoch das System überwacht und Nebenarbeiten übernimmt.

Vom Lokpersonal wird erwartet das System anzuwenden

Der VSLF hat die SOB um Stellungnahme gebeten, ob das Lokpersonal verpflichtet sei, AFAS einzuschalten. Damit würde die Führung, nicht aber die Verantwortung dem System übergeben. Nicht nur im Hinblick auf die vorhandene Diskrepanz bei der Einhaltung rudimentärer Vorschriften durch das AFAS ist diese Frage von zentraler Bedeutung.

Die SOB erwartet vom Lokpersonal, welches für die Bedienung vorgängig ausgebildet wird, dass es das verfügbare System einschaltet und nutzt. Das Lokpersonal wird damit aufgefordert, die Zugführung an das System zu übergeben. Folglich übernimmt die SOB durch das ihr zustehende Weisungsrecht eine Mitverantwortung, sollte es zu fahrdienstlichen Zwischenfällen kommen. Jedoch will von disziplinarischen Massnahmen abgesehen werden, sollte das System durch das Personal nicht eingeschaltet werden.

Die Verantwortung soll beim Lokpersonal verbleiben

Die Komplexität in der Bewältigung verschiedenster Betriebssituationen, die systembedingten Grenzen und die wachsende Monotonie infolge reiner Systembeobachtung bedingen neue Anforderungen an die menschliche Leistungsfähigkeit. Auf dieser Grundlage kann die Verantwortung nicht mehr vollumfänglich durch das Lokpersonal übernommen werden.

Gemäss öffentlich verfügbaren Informationen des BAV zu den vier Stufen des Grade of Automation wird im Betrieb GoA2 ein Teil der Verantwortung an das System abgegeben. Im Gegensatz dazu hält die SOB daran fest, dass die Verantwortung im Betrieb mit AFAS beim Lokpersonal verbleibe. Der VSLF hat das BAV auf diese Diskrepanz hingewiesen und um eine Stellungnahme gebeten.

Sicherheit hängt von Vigilanz des Lokpersonals ab

Die erzwungene zusätzliche Monotonie des Lokpersonals bei einer bereits tendenziell eintönigen Arbeit führt zwangsläufig zu verminderter Aufmerksamkeit und mangelnder Konzentration. Diese Erkenntnis ist durch Studien belegt und im Projekt thematisiert worden. Konkrete Lösungsansätze werden vermisst. Die SOB bringt zum Ausdruck, dass sowohl die Sicherheitsanforderungen im Bereich der Arbeitspsychologie als auch die gesetzlichen Anforderungen durch die Umsetzung von «Human and Organisational Factors»-Massnahmen erfüllt seien und ein sicherer Betrieb gewährleistet sei.

Für die aktuell geplanten ATO-Fahrten sind, entgegen den eigenen Vorgaben und Erkenntnissen, keine kompensatorisch unterstützenden Massnahmen vorgesehen. Diese wären jedoch zur Gewährleistung der kontinuierlichen Vigilanz (Wachheit bzw. Daueraufmerksamkeit) und des Situationsbewusstseins des Lokpersonals unumgehbar. Die durch den Wegfall von Bedienhandlungen verloren gegangenen Routinen und Achtsamkeiten verringern die Fähigkeit, sichere Handlungen zeit- und formgerecht durchzuführen. Da gleichzeitig die Systemtechnik nach wie vor massive Mängel aufweist, findet der Versuch auf Kosten der Sicherheit statt.

Sinnhaftigkeit von ATO GoA2

Die durch ATO GoA2 zu erwartenden Energie- und Zeiteinsparungen sind nicht quantifizierbar. Die alltäglich notwendigen, wenn auch unwirtschaftlichen Eingriffe durch das Lokpersonal wurden im Vergleich vernachlässigt. Zu erwartende Optimierungspotentiale durch AFAS sind einzig eine Kompensation der durch die Systeme ETCS und ATO generierten Qualitätsprobleme, welche sich im täglichen Betrieb laufend offenbaren und nicht angegangen werden. «Industrieversprechen und hohe Kosten gegen Planung und Präzision» scheint das Motto zu sein. ATO GoA2 bedingt für einen sicheren Betrieb zwingend ETCS-Level 2, welches seinerseits die Kapazitäten erwiesenermassen um ungefähr 20% verringert. ATO GoA2 unter ETCS-Level 1 LS, wie es die SOB in ihrem Versuch anwendet, geht zulasten der Sicherheit und schiebt die Verantwortung auf das Lokpersonal ab.

Grundsätzlich ist festzuhalten, dass Effizienzversprechen obsolet werden, betrachtet man die mit bisherigen Systemen vermittelten Informationen an das Lokpersonal. Sobald dieses über denselben Informationsstand wie AFAS verfügen würde, wäre es in der Lage, einen Zug ebenso effizient und energiesparend zu führen. Warum die Entwicklung solcher Systeme bisher nicht vorangetrieben wurde, lässt Fragen offen. Was allerdings als Nebengeräusch von ATO-Versuchen übrig bleibt, ist der Eindruck, dass das Lokpersonal nicht dazu im Stande scheint, seine Arbeit im angemessenen Rahmen auszuüben. Die eigentlich angestrebte Kostensenkung durch automatische Zugfahrten – die Einsparung von Personal – ist nach wie vor in weiter Ferne.

Nachwuchsfindung für Beobachter

Die zukünftige Rekrutierung von Personal, welches allein der Beobachtung von Systemen im Führerstand dient und dabei die volle Verantwortung tragen sowie jederzeit die Kompetenz und Routine des Lokpersonals mitbringen soll, wird sich stark erschweren und kostentreibend auftreten. Ebenfalls wird die Berufstreue abnehmen und die Fluktuation verstärkt werden. Diese Kostenfaktoren, sowie die Doppelspurigkeit zwischen zu bezahlendem Personal und entstehenden zusätzlichen Systemkosten, müssten bei professioneller Betrachtung in den Business-Case mit einbezogen werden.

VSLF Nr. 815, 17. Juli 2024 KH


ETCS-Dossier zuhanden von Bundesrat Albert Rösti


Vernehmlassungsunterlagen Vorstudie ETCS Dagmersellen-Emmenbrücke für das BAV


Broschüre nextRAILplus

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Bahnjournalisten Schweiz Informationstag 7. November 2022:

Die Zukunft der Bahnautomation ATO – wie und wann?

Bahnjournalisten Schweiz​​​​​​ / Medienschaffende des öffentlichen Verkehrs: https://www.bahnjournalisten.ch/start.php
Referate des Infotags: 


BLS Cargo reagiert nach Unfall in Zollikofen


Unfall in Zollikofen 2. Juni 2022


LocoFolio 1/2022


ATO-Versuche der BLS vom BAV gestoppt


Teilautomatische Züge bei der S-Bahn Hamburg


Halbautomatische Züge bei der SOB


Wie weiter mit ETCS und ATO


Verminderte Geschwindigkeiten auf Halt zeigende Signale und Prellböcke


ETCS in der Sackgasse?


Interview mit Dr. Peter Füglistaler / Direktor des Bundesamtes für Verkehr