Gruppeninterview zum ZHAW Bachelorstudiengang Mobility Science
Von: Simon Steinmann
Beruflich weiterzukommen ist bei der Eisenbahn so eine Sache. Über interne Möglichkeiten bei der Einteilung, Lokleitung, Personalführung und Schulung wird immer mal wieder informiert. Wie Personal mit Berufsmatur oder Matur sich tertiär weiterbilden könnte, ist hingegen kaum Thema. Dabei gibt es interessante Studiengänge. Das Interview, mit Studiengangleiter Dr. Prof. Sauter-Servaes, den Lokführern/Absolventen Dario Bai und Matthias Wey und Lokführerin/Studentin Sarah Dellsperger, war ursprünglich nur als Promotion für den Studiengang Mobility Science an der ZHAW in Winterthur gedacht.
Geworden ist daraus eine erweiterte Diskussion über Lebensplanung, Weiterbildungen und Hochschulpolitik.
Simon Steinmann: Es freut mich sehr, dass ihr euch bereit erklärt habt, an diesem Interview mitzuwirken. Wir machen zu Beginn eine kleine Vorstellungsrunde: Wer seid ihr, wie alt seid ihr und was habt ihr bis jetzt so gemacht.
Bemerkung für Art-Director: Hier begleitend zu den Vorstellungen die mitgelieferten Portraits platzieren. Diesen Kommentar löschen.
Matthias Wey: Ich bin 38 Jahre alt. Ich habe schon die Lehre als Automatiker bei der SBB gemacht und konnte durch eine Lokführervorschulung im letzten Lehrjahr, nach Abschluss und Militär direkt in die Lokführerausbildung starten. Schon bald merkte ich, dass meine Freizeitengagements und die unregelmässigen Arbeitszeiten nicht zusammenpassten. Nach einem kurzen Abstecher in meinen Lehrberuf beim RBS (Regionalverkehr Bern Solothurn) kam ich als Lokführer zurück zur SBB und suchte nach einer neuen Herausforderung. 2015 fand ich diese im Studium Verkehrssysteme. Seit dem Abschluss 2018 arbeite ich bei SBB-Infrastruktur, zuerst als Fachexperte im Anforderungsmanagement und nun als Projektleiter. Daneben bin ich immer noch einen Tag pro Woche im Führerstand anzutreffen.
Dario Bai: Ich bin auch 38 Jahre alt und habe relativ bald nach meiner Lehre als Tiefbauzeichner die Ausbildung zum Lokführer gemacht. Ich habe den Job sehr gerne gemacht und mache ihn immer noch mit grosser Freude. Dann habe ich schon früh, als er noch neu war, den Studiengang Verkehrssysteme (Anm. d. Red: frühere Bezeichnung des Studiengangs Mobility Science) gesehen, es hat aber zehn Jahre gedauert, bis ich ihn angepackt habe. Der Abschluss ist jetzt 6 Jahre her und mittlerweile habe ich noch einen Master in Europäische Bahnsysteme nachgelegt. Nach dem Bachelor arbeitete ich zuerst 50 % im Büro und 50 % im Führerstand, seit anfangs 2023 sind es 70/30 Prozent.
Sarah Dellsperger: Ich bin 32 Jahre alt. Nach der Kanti habe ich zuerst für 1 1⁄2 Jahre bei Mc Donalds gearbeitet, bevor ich im Februar 2013 die Ausbildung zur Lokführerin in Angriff genommen und im Frühling 2014 erfolgreich abgeschlossen habe. Seither bin ich als Lokführerin auf dem Schweizer Schienennetz unterwegs. In der Zwischenzeit bin ich zudem Mutter von drei Kindern im Alter von mittlerweile 9, 7, und bald 4 Jahren geworden. Seit vergangenem Herbst studiere ich Verkehrssysteme an der ZHAW, während ich weiterhin in einem 50 % Pensum im Depot Olten als Lokführerin arbeite.
Prof. Dr. Thomas Sauter-Servaes: Ich bin 49 Jahre alt. Ich bin in
Berlin geboren und habe auch in Berlin studiert. Nach dem Grundstudium Maschinenbau habe ich mich auf die Verkehrsplanung fokussiert. Als Student arbeitete ich in der Flughafenplanung, war danach an der TU Berlin in der Bahnforschung und habe in dieser Zeit meinen Doktor gemacht. Anschliessend bin ich zu DB -Fernverkehr nach Frankfurt gegangen, allerdings nur für ein Jahr. Der Job war toll, die resultierende Fernbeziehung jedoch furchtbar. Zurück in Berlin habe ich Forschung für Volkswagen betrieben. Dann hat meine Frau ein Arbeitsangebot in Zürich angenommen. Ich bin ihr gefolgt, und habe seitdem das riesige Glück, den Studiengang Mobility Science zu leiten. Super! Junge Leute, Forschung und einen Professortitel.
Simon Steinmann: Ich stelle mich auch vor: Ich bin 31 Jahre alt. Nachdem ich die Matura gemacht und den Militärdienst absolviert hatte, habe ich mir meinen Wunsch erfüllt und 2015 die Ausbildung zum Lokführer in Angriff genommen. Jetzt bin ich in meinem neunten Jahr bei der SBB, mittlerweile im Depot Zürich. Über die letzten Jahre habe ich mehr und mehr Verantwortung im Vorstand der VSLF- Sektion Ostschweiz übernommen und seit November 2023 bin ich nun Co-Präsident. Deshalb schreibe ich nun vermehrt Artikel für die Verbandszeitschrift LocoFolio. Wir starten mit der ersten Frage: In eigenen Worten: Worum geht es im Studiengang Mobility Science?
Matthias: Man wird zum Allrounder zum Thema Verkehr ausgebildet. Nicht nur Mobilität im direkten Sinn, sondern auch zum Beispiel Logistik gehören da dazu und geben ein umfassendes Bild über die Personen- und Güterflüsse auf der Welt. Die Vertiefungen in den einzelnen Bereichen helfen bei der Entscheidung in welche Richtung es geht. Der ÖV hatte eine gewisse Dominanz, was mich mit meinem Hintergrund unterstützt hat.
Dario: Ich habe einen Überblick über Verkehr und Logistik und alles, was damit zu tun hat, erhalten. Es gab verschiedenste, zum Teil sehr tiefe Einblicke. So z.B. in Fahrpläne, Lieferketten und einiges mehr. Der Schwerpunkt lag auch meiner Meinung nach auf dem ÖV, das fand ich aber nicht schlecht.
Sarah: Als Studentin im zweiten Semester kann ich dazu noch nicht allzu viel sagen. Momentan geht es vor allem noch um mathematische Grundlagen und Programmieren. Auf Exkursionen haben wir aber bereits einige exklusive Einblicke erhalten. So durften wir zum Beispiel bei einer ATO-Testfahrt der SOB dabei sein und waren zu Besuch bei der Limmattalbahn.
Simon: Herr Sauter-Servaes, was würden Sie als Studiengangsleiter sagen: Worum geht es bei Mobility Science im Kern?
Prof. Sauter-Servaes: Im Kern geht es darum, dass wir möglichst viele helle und schnelle Köpfe für die Mobilitätsbranche gewinnen. Wir haben hier keinen rein akademischen Auftrag. Wenn jemand nachher eine akademische Karriere mit Master und Doktor anstrebt, ist das wunderbar. Die Grundidee ist aber die Berufsbefähigung, also mit dem Bachelorabschluss sofort erfolgreich im Beruf starten zu können.
Simon: Frage an die (Ex)Studierenden: Warum habt ihr euch für Mobility Science entschieden? Wäre auch etwas anderes infrage gekommen?
Matthias: Für mich war dieser Studiengang der naheliegendste, wenn ich mein Arbeitsumfeld und meine Interessen betrachtete. Ich habe auch kurz einen Blick auf den Studiengang Energie- und Umwelttechnik geworfen, doch kam dann bald zu Mobility Science zurück. Lange hatte mich der Gedanke, wieder voll die Schulbank zu drücken, abgeschreckt und ein Teilzeitangebot bestand zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Irgendwann musste ich mir sagen: “Jetzt oder nie!”.
Dario: Bei mir ehrlich gesagt nicht. Ich habe den Studiengang, wie schon erwähnt, von Anfang an mitverfolgt und als dann von meiner damaligen Partnerin der Input kam: “Hey Dario, du wirkst irgendwie grumpy und unzufrieden, wenn du von der Arbeit erzählst.”, hat das etwas ausgelöst bei mir. Denn eigentlich war ich ja gerne Lokführer, aber sie hatte Recht. Ich habe mich oft nur noch über falsche Einteilungen „langweilige“ Touren etc. geärgert und all die schönen Dinge ein wenig aus den Augen verloren. Ein Arbeitskollege war gleichzeitig reif für eine Veränderung und da dachten wir: “Okay, Mobility Science wäre doch was für uns” und beschlossen dann, zusammen dieses Studium anzupacken.
Simon: Der Arbeitskollege war Matthias, oder?
Matthias: Ja das war ich. Ich denke wir haben uns gegenseitig motiviert, um es anzupacken und später auch durchzuziehen.
Sarah: Bei mir war es der Wunsch, mir neben meinem Beruf als Lokführerin ein zweites Standbein aufzubauen, der mich dazu bewogen hat, mich für das Bachelorstudium Mobility Science einzuschreiben. Um meinen aktuellen Beruf ausüben zu können, bin ich von äusseren Faktoren abhängig. Einerseits ist da die periodische Prüfung, die es alle 5 Jahre zu absolvieren gilt und andererseits gibt es strenge medizinische Vorgaben für das Lokpersonal, die erfüllt werden müssen. Es gibt mir niemand die Garantie, dass ich die verbleibenden 30 Jahre bis zu meiner Pension, noch als Lokführerin im Führerstand tätig sein kann. Aus eigener Erfahrung weiss ich, wie wenig es braucht, bis man nicht mehr fährt.
Im Studiengang Mobility Science sah ich die ideale Möglichkeit, mich in der mir mittlerweile vertrauten Verkehrsbranche noch weiterzubilden. Ich hatte mir direkt nach der Matura bereits verschiedene Studiengänge als Anschlusslösungen angeschaut - damals eher noch Richtung Medizin – und musste dann aber relativ bald feststellen, dass ich mich für keinen dieser Studiengänge richtig begeistern konnte. Rückblickend denke ich, war es vor allem die Vorstellung daran, erneut für mehrere Jahre die Schulbank zu drücken, die mich damals abgeschreckt hatte. Ich wollte endlich arbeiten und mein eigenes Geld verdienen. Nun, 12 Jahre später habe ich den nötigen Antrieb zum Büffeln wieder.
Dario: Ich hatte nach der Lehre mit Berufsmatura auch einen Hänger. Bauingenieur wäre eigentlich die logische Fortsetzung gewesen. Aber ich dachte nur: “Was, noch mehr Schule? Die zehn Jahre sind wohl eine magische Grenze, wo man wieder Lust hat, sich weiterzubildenJ. Das ist dann aber auch nicht ganz ohne, wenn du dann zu den ältesten im Jahrgang zählst.
Simon: Herr Professor, welche Qualifikation benötigt man für eine Zulassung zum Studiengang Mobility Science?
Prof. Sauter-Servaes: Grundsätzlich ist eine Berufsmatura die klassische Basisqualifikation, mit oder ohne technischen Hintergrund. Die andere Möglichkeit ist, über die Gymnasiale Matur zu uns zu kommen. In diesem Fall muss man aber vor Studienbeginn ein Jahr Arbeitserfahrung nachweisen. Mit dem “Praxisintegrierten Bachelorstudium” haben wir alternativ ein Angebot, in dem Studierende ihre Praxiserfahrung während des Studiums in Unternehmen erwerben können.
Simon: Was muss man eurer Meinung nach, nebst den nötigen Qualifikationen, für ein erfolgreiches Studium in Mobility Science mitbringen?
Prof. Sauter-Servaes: Man braucht ein Grundinteresse an Mobilität & Logistik und ein Ziel, damit man die nötige Motivation für das Studium aufbringt. Vor allem sollten Studierende jedoch begeisterungsfähig und neugierig sein, so dass sie im Laufe des Studiums ein Themenfeld finden, in dem sie zum Profi werden möchten. Ich hatte eine Studierende, die war vorher als Lehrerin tätig. Sie hat im Mobility Science-Studium eine Begeisterung für verkehrsspezifische mathematische Probleme und Machine- Learning-Anwendungen entwickelt und schrieb ihre Bachelorarbeit über die Optimierung von Schiffsmotoren. Sie hat etwas sehr Spezielles gefunden, worin sie voll aufgeht. Das sind die Erfolgsgeschichten, die wir als Dozierende anstossen und unterstützen möchten.
Dario: Das kann ich nur unterschreiben. Du musst ein gewisses Grundinteresse an der Verkehrs- und Mobilitätsbranche haben und am besten schon ein Themenfeld haben, wo du findest man könnte etwas besser machen. Dann hast du schon einen „Leuchtturm” am Ende des Studiums, der dir den Weg zeigt, falls du unterwegs mal die Orientierung verlieren solltest. Wenn du noch keinen hast, ist das auch nicht so schlimm. Irgendwann geht dir dann sicher ein Licht auf. Mich haben von Anfang an immer diese Fahrplangeschichten interessiert, also: Wie funktioniert und entsteht ein Fahrplan? Nun arbeite ich im Bereich der Fahrplansimulation und bin dadurch eines von vielen kleinen Rädchen bei der Entstehung von neuen Fahrplänen.
Matthias: Den beiden Voten kann ich auch zustimmen. Das Grundinteresse ist sicher das wichtigste. Auch ich konnte mich für ein Thema “Mobilität in der Zukunft” und die Frage, wie sich der Verkehr weiterentwickeln wird, stark begeistern und konnte nach dem Studium auch genau in diesen Bereich einsteigen. Daneben braucht man sicher auch viel Biss und Durchhaltewillen, um sich durch die nicht in seinem zentralen Interesse liegenden Module zu kämpfen. Hier hilft der von Dario erwähnte Leuchtturm sehr.
Simon: Bei Sarah kommt hier noch der Familienaspekt hinzu. Ich finde es krass wie gut du das im Griff hast.
Sarah: Ich muss gestehen, auch wenn es nach aussen so aussieht, als hätte ich zu jeder Zeit alles im Griff, es durchaus auch Tage gibt, an denen ich mit meinem schlechten Gewissen zu tun habe oder Selbstzweifel an mir nagen, so dass ich mir auch schon ernsthaft, die Frage gestellt habe, wozu ich mir diese 3-fach Belastung mit Familie, Beruf und Studium eigentlich freiwillig antue. Für mich stand jedoch immer fest, dass ich mich als Mutter nicht in veraltete Rollenbilder oder in die finanzielle Abhängigkeit eines Mannes drängen lassen wollte. Mir ist es wichtig, dass ich in der Lage bin, auf meinen eigenen Beinen zu stehen und dass ich mich trotz meiner familiären Verpflichtungen weiterentwickeln kann. Mein Mann steht dabei voll hinter mir. Ich bin sehr dankbar dafür, dass wir in einer Partnerschaft im wörtlichen Sinne leben, uns als Team verstehen und uns bei unseren Vorhaben gegenseitig unterstützen. Im vergangenen Sommer hat mein Mann erfolgreich seinen Master in Informatik abgeschlossen, nun bin ich an der Reihe. Wenn ich mich in meinem persönlichen Umfeld umhöre, muss ich feststellen, dass das leider nicht überall der Fall ist.
An dieser Stelle muss ich auch der Einteilung in Olten für das Berücksichtigen meiner unzähligen Wünsche einen riesigen Dank aussprechen. Ohne dieses grosszügige Entgegenkommen könnte ich meine Weiterbildung so nicht absolvieren.
Simon: Mobility Science ist ein Studiengang der ZHAW School of Engineering. Das bedeutet auch Unterricht in Mathematik und Physik. Wie anspruchsvoll ist der?
Matthias: Die Mathe hat mich anfänglich etwas abgeschreckt. Ich ging dann auch extra im Sommer vor Studienbeginn noch je in einen Auffrischungskurs für Mathe und Physik. Das half etwas beim Einstieg. Für mich war Mathe sehr an der Grenze, die Analysis wollte mir einfach nicht in den Kopf. Bei Physik konnte ich von meinem Automatiker-Hintergrund profitieren.
Dario: Bei Mathe war es ein erträgliches Mass, Physik war für mich schwer am Limit, gar nicht meins. Wenn ich denke: “Aha, das geht so rum”, ist es bestimmt genau umgekehrt. Mit der Zeit wurde es dann etwas besser. Zum Glück haben die anderen Fächer, die man schon ab dem ersten Semester hatte, mich motiviert dranzubleiben.
Prof. Sauter-Servaes: Es gibt viele Kompetenzen, die man hinterher unbedingt braucht. So werden Programmierfähigkeiten immer wichtiger. Mathe und Physik bilden ein wichtiges Grundgerüst. Wenn die Studierenden einen Ingenieurstitel anstreben, benötigen sie ein gewisses Handwerkszeug.
Sarah: Mathematik und Physik gehören bei einem Ingenieurstudium einfach zur Grundbildung. Es ist nachvollziehbar, dass wer sich Ingenieur nennen will, eine gewisse Ahnung von Mathe und Physik haben sollte, ebenso vom Programmieren. Als Vorbereitung aufs Studium, habe ich wie Matthias, im Voraus einen Auffrischungskurs besucht, um meine verstaubten Mathematikkenntnisse aus der Kantizeit zu reaktivieren.
Prof. Sauter-Servaes: Für den Abschluss in Mobility Science muss niemand ein Mathematikgenie sein. Es geht um notwendiges Basiswissen, das ist keine “rocket science”. Wir haben auch Kurse zu Sprache und Kommunikation, trotzdem sind sie nachher kein/e Germanist/in. Sie können aber ihre Ideen besser kommunizieren.
Dario: Die Sprachkurse sind ein gutes Beispiel. Man kann sich wunderbar darüber streiten, ob die etwas bringen. Im Nachhinein hat sich das als super Sache herausgestellt, dass uns jemand gezeigt hat, wie man etwas präsentiert oder wie man einen wissenschaftlichen Text schreibt. Und wenn man sich selber beim Vortragen filmen muss und dann sieht, wie man dasteht und nicht weiss, was man mit seinen Händen machen soll, ist das in dem Moment zwar doof, aber man sieht dann eben auch „live“, was man an seiner Körpersprache verändern könnte. Präsentationssachen sind heute sehr wichtig im Berufsalltag. Prof. Sauter-Servaes hat von Anfang an Wert auf gute Präsentationen gelegt.
Matthias: Das kann ich bestätigen. Wie viele Präsentationen ich schon “gepinselt” habe, seit ich im Projektgeschäft arbeite, kann ich nicht mehr zählen. Und sicheres Auftreten, ob vor kleinem oder grossem Publikum, hilft mir nicht nur im Berufsalltag, sondern auch als Präsident eines Theatervereins.
Simon: Was waren für euch die Highlights im Studiengang Mobility Science. Sarah: Auf was freust du sich?
Matthias: Für mich waren es eindeutig die Arbeiten und Exkursionen, bei welchen wir nahe an der Praxis, direkt mit Firmen in Kontakt waren. Neben den guten Erlebnissen mit den Mitstudierenden auf Reisen durch Europa hat man auch gut gemerkt, dass die gelernte Theorie auch in der Praxis angewandt wird. Dies gab meist einen Motivationsschub für trockenere Theoriestunden.
Sarah: Ich bin da recht unvoreingenommen. Ich freue mich auf die vielen weiteren Einblicke in verschiedenste Themenfelder der Verkehrswelt, die wir im Verlauf des Studiums noch erhalten werden.
Dario: Die Exkursionen, oder wenn man es etwas weiter fasst, der Praxisbezug. Dieser kommt in allen Fächern, die mit Mobilität zu tun haben, wirklich zum Tragen. Meist kommt der/die Dozierende aus der Praxis und hält an diesem Vormittag neben der angestammten beruflichen Tätigkeit eine Vorlesung. Die wissen genau, wie es “draussen” läuft und haben die Connections, um Ausflüge zu organisieren. Und dann ist da natürlich auch noch das Ausserschulische: Also mit den Kommiliton/innen Ausflüge machen oder ein Bier trinken gehen. Und die Frackwoche ist natürlich ein Highlight.
Prof. Sauter-Servaes: Ich habe damals mein Diplomzeugnis per Post zugeschickt bekommen, und hier ist im Rahmen der Frackwoche eine Woche lang Ausstand. Das ist jedes Jahr ein Erlebnis. Und der Praxisbezug bringt auch mir viel Freude: Ich veranstalte sehr gerne Blockwochen, bei denen ich mit Studierenden praxisrelevante Fragestellungen in Unternehmen bearbeite. Es ist grossartig zu erleben, wie die Studierenden den Firmen neue kreative Lösungen präsentieren. Das macht mich teilweise wirklich stolz.
Simon: Abgesehen von Mathe und Physik, was kann einem im Studium sonst noch das Leben schwer machen?
Matthias: Für mich war die Knacknuss das Dranbleiben. Es gab viele Wellenbewegungen in der Motivation. Da half neben dem 100 % Studium das 20 % Pensum als Lokführer. Beim Fahren konnte ich vom Studium abschalten.
Simon: Und die Bachelorarbeit?
Dario: Da fand ich super, dass man sie zu zweit schreiben durfte. Denn es ist selten so, dass beide im Team gleichzeitig den Anschiss haben. So konnte jeweils der eine den anderen motivieren, wenn es nötig war. Es wäre aber gut, wenn man vor Beginn der Arbeit in etwa weiss, welches Themenfeld einem liegt und man zu einem Thema schreiben kann, an dem man Freude hat. Die Arbeiten schreiben sich nicht gratis, aber es ist viel leichter, wenn dich dein Thema wirklich interessiert.
Simon: Sarah, wo siehst du die Challenges?
Sarah: Aktuell beim Programmieren! Bis letzten Sommer empfand ich Programmieren noch als Magie. Als Lokführerin musste ich noch nie wirklich an einem Computer arbeiten.
Simon: Man hat halt ein einfaches Eingabetool. Binär, fahren/bremsen.
Dario: Programmieren ist auch recht binär, eigentlich...
Sarah: Bevor ich zu studieren begann, betrachtete ich die schwarzen Bildschirme meines Mannes, gefüllt mit nicht enden wollenden Zeilen Code, aus denen am Schluss ganze Spiele entstehen, wenn er jeweils am Computer sass, immer mit einer gewissen Ehrfurcht. Seit ich mich selber mit dem Schreiben von Programmen auseinandersetzen muss, beginne ich den Aufbau, die Vorgänge und Zusammenhänge langsam zu verstehen. Ich finde Programmieren spannend, aber es braucht sehr viel Zeit, sich einzuarbeiten.
Prof. Sauter-Servaes: So hat jeder andere Themenfelder, die er nicht so gut findet und Bereiche, für die er mehr Begeisterung entwickelt.
Dario: Die Denkweise beim Programmieren ist halt schwierig, man muss ein Problem so übersetzen, dass ein Computer es lösen kann. Aber je nach Job hilft es wirklich enorm, zum Beispiel bei der Datenauswertung.
Prof. Sauter-Servaes: Wie soll man sonst die riesigen Datensätze auswerten? Das ist schon beeindruckend, wenn man bei Studierenden sieht, wie einfach das mit den richtigen Programmierkenntnissen gelingt.
Simon: Dieser Studiengang kann sowohl in Voll- als auch in Teilzeit absolviert werden. Was sind dabei die Vor-/ Nachteile?
Dario: Ich habe damals, bevor es losging, die Teilzeitmöglichkeit vermisst, stellte dann aber schnell fest, dass Vollzeit zu studieren und daneben 20% zu arbeiten gut zu verkraften ist. Mit den 20% konnte ich mich gut durchmogeln. So war ich auch mal nur drei Tage im Monat arbeiten, oder in der Prüfungsphase sogar nur zwei. Dafür war ich in den Semesterferien mehr am Fahren. Gut war: Ich hatte grundsätzlich frei und konnte dann arbeiten, wenn ich Kapazität hatte. Im Nachhinein hat das Vollzeitstudium für mich gepasst, es war für meine Umstände das Beste.
Prof. Sauter-Servaes: Die Studierenden können zwischen Voll- und Teilzeitstudium wechseln. Bei Mobility Science sind wir da sehr flexibel. Teilzeitstudierende bringen sehr viel verkehrsspezifisches Knowhow mit. Das fördert die Qualität des Studiums für alle. Das Vollzeitstudium hat den Vorteil, dass die Studierenden mehr Zeit einbringen können. Sie sind eher bereit, sich auch an fakultativen Veranstaltungen ohne Credits zu beteiligen. Eine Hochschule lebt davon, dass die Studierenden sich engagieren.
Dario: Ja, auch die Frackwoche organisiert sich nicht von selbst...
Prof. Sauter-Servaes: Wenn es das Engagement vor Ort nicht mehr gäbe, dann wären wir de facto eine Fernfachhochschule, wo alle möglichst zeitoptimiert ihr Ding machen. Dann wäre der heutige “Spirit” dieses
Studiums tot. Das Soziale fiele komplett weg. Am Campus lernen sich die Studierenden kennen und sich zu vertrauen, das wirkt bis nach dem Studium nach. Die Alumni bleiben in Kontakt, unternehmen etwas zusammen, schicken sich Informationen zu. Das ist ein essenzieller Teil eines Studiums.
Simon: Dieses Networking ist, denke ich, wirklich extrem wichtig?
Dario: Meine Kollegen aus der Bachelorklasse sind in verschieden Unternehmen tätig. Da kann ich mich melden: “Hallo wie gehts? Ich hätte da eine Frage.” und dann habe ich fünf Minuten später eine schlaue Antwort. In diesem Netzwerk sind nicht nur deine Kommilitonen, sondern auch Dozenten und Firmen. Diese Connections helfen dann beim Einstieg in die Berufswelt. Unterdessen gibt es den Studiengang lange genug, dass sich viele potenzielle Arbeitgeber etwas unter Verkehrssysteme oder neu Mobility Science vorstellen können. Man kennt es mittlerweile.
Matthias: Und bei den SBB schauen mich viele erstmal fragend an, wenn ich sage, ich habe Verkehrssysteme an der ZHAW studiert.
Simon: Was ich von Sarah wissen wollte: Wenn es den Teilzeitstudiengang nicht gäbe, könntest du das Studium machen?
Sarah: Nein. Oder nicht zum jetzigen Zeitpunkt.
Simon: Dann hättest du noch zehn Jahre warten müssen, bis dein Jüngster ein Teenager ist?
Sarah: Richtig. Oder ich hätte mein Leben grundsätzlich anders planen müssen. Also nicht zuerst Kinder bekommen und danach erst das Gefühl haben, noch mit Studieren anfangen zu müssen.
Dario: Das kann ich mir gut vorstellen.
Sarah: Es ist auch eine finanzielle Frage. Eine Familie zu haben, kostet viel Geld. Mein 50 % Pensum ist für mich das absolute Minimum, damit wir einerseits als Familie weiterhin finanziell über die Runden kommen und ich andererseits das FVP-GA behalten kann; das brauche ich jetzt nämlich mehr denn je.
Simon: Das wäre dann meine nächste Frage gewesen: Ich studiere Teilzeit, welches Arbeitspensum ist empfohlen?
Prof. Sauter-Servaes: Es gibt da keine Zauberformel, das müssen die Studierenden individuell herausfinden. Für Dario waren 20 % passend, Frau Dellsperger braucht auf alle Fälle ihre 50 %.
Sarah: Genau, aber wie es Dario schon erklärt hat, kann ich natürlich auch mogeln. Im Januar 2024 hatte ich während der gesamten Prüfungsphase frei. Dafür werde ich in den Sommerferien mehr fahren. Es spielt mir in die Karten, dass die Züge der SBB fast 24/7 fahren, dadurch habe ich deutlich mehr Gelegenheiten arbeiten zu gehen, als bei einem gewöhnlichen Bürojob.
Dario: Irgendwann wurde ich dann so wild und habe am Freitag nach dem Unterricht noch einen Spätdienst angehängt. Ich würde mir wünschen, dass man das auch bei der SBB in der Einteilung als Chance sieht, dass jemand zu unterschiedlichen Zeiten kommt. Wenn ich nur einen Tag am Stück arbeite, sind die Übergänge quasi egal.
Simon: Man kann in so eine Vorlesung auch übernächtigt reinsitzen...
Dario: Das wird der Professor wahrscheinlich jetzt nicht gerne hören...
Prof. Sauter Servaes: Das ist auch eine Art, seine Grenzen auszutesten. Hier an der Hochschule geht es nicht um Leben und Tod. Wenn man dann doch einmal etwas verpasst, geht davon die Welt nicht unter.
Simon: Wir haben das beim Werdegang schon kurz angesprochen. Dario/Matthias: Was habt ihr mit dem Bachelorabschluss gemacht?
Matthias: Ich konnte direkt nach dem Studium bei SBB-Infrastruktur, im Branchenprogramm SmartRail 4.0, als Fachexperte ins Anforderungsmanagement einsteigen. Dies ermöglichte mir, mich in der SBB-Bürowelt zu vernetzen und mir einen Platz zu suchen.
Dario: Zuerst ein Jahr lang nichts, ich ging wieder zu 100% zurück in den Fahrdienst.
Simon: Sozusagen als Erholung von den Strapazen?
Dario: Das tönt jetzt böse, aber ein bisschen war es so. Ich hatte, wie nach der Lehre mit Berufsmatur, etwas genug. Dann musste ich im Sommer noch meine Minusstunden aufholen und es gefiel mir einfach so gut. Die Erhöhung des Pensums hat die SBB förmlich an sich gerissen. Ich habe es sehr genossen, wieder 100% als Lokführer zu arbeiten und meinen geregelten Alltag wieder zu haben.
Simon: Und nach einem Jahr bist du dann bei SBB-Geschäftsentwicklung gelandet?
Dario: Nach ziemlich genau einem Jahr hat sich ein Türchen geöffnet. Ich habe mich immer umgeschaut, was für Jobs es gibt, dann wurde mir gesagt da gäbe es vielleicht etwas. Damals war ich noch nicht bei der Geschäftsentwicklung, sondern bei SmartRail 4.0.
Simon: Soso, SmartRail 4.0...
Dario: SBB-Infrastruktur hat dort echt viel gemacht und irgendwann hat der Personenverkehr als Kunde der Infrastruktur gemerkt: “Hey, die machen da etwas, wir müssen da mitmischen.” Dann hat SBB-P ein kleines Trüppchen aufgestellt, um erstmals herauszufinden, was da überhaupt gemacht wird und welche Auswirkungen das auf die Division Personenverkehr hat. Da bin ich dann reingerutscht und wir haben versucht, alle Prozesse, von denen das Fahrpersonal betroffen war, mitzugestalten.
Matthias: Da haben wir erneut zusammengearbeitet. Dario von Seite Personenverkehr und ich von Seite Infrastruktur. SmartRail 4.0 war das erste Mal, wo die Branche zusammen an einem Zielbild der Eisenbahn in der Schweiz gearbeitet hatte. Dies hat auch mein Netzwerk stark erweitert. Wenn man die aktuellen Entwicklungen der Eisenbahn in der Schweiz und in Europa anschaut, tragen sie immer noch die Handschrift des Zielbildes von SmartRail 4.0. Nur die Umsetzung wird anders, langsamer, angegangen.
Simon: Sarah, hast du schon eine Idee, wohin es nach dem Studium gehen soll?
Sarah: Nein, nicht konkret. Was ich mit dem Bachelor genau machen werde, wird sich zeigen. Vielleicht tut sich ja irgendwo ein Türchen auf. Das Studium ermöglicht mir in jedem Fall eine spannende Horizonterweiterung. Ich habe mich ja nicht zum Studium entschlossen, weil ich nicht mehr gerne fahre, und so schnell wie möglich aus dem Führerstand weg will, im Gegenteil. Das Fahren gefällt mir unheimlich gut und es ist für mich der Ausgleich zum turbulenten Familienalltag zu Hause mit den Kindern. Bei einem allfälligen Stellenwechsel, bleibt zu berücksichtigen, dass ich auf Grund meiner familiären Verpflichtungen wohl noch für eine längere Zeit nicht zu 100 % arbeiten kann und will. Bedauerlicherweise ist der Karrierekiller Teilzeit an vielen Orten noch Realität oder man hat als Teilzeitangestellte mit gewissen Vorurteilen zu kämpfen. Auch als Lokführerin habe ich zum Beispiel schon Aussagen wie: “Ihr Teilzeitler seid kompliziert und auf euch muss dauernd Rücksicht genommen werden.” Oder: “Ihr Rosinenpicker fahrt nur die schönen Touren und an uns 100%- lern, bleibt die Drecksarbeit hängen”, zu hören bekommen.
Dario: Es gibt sicher vereinzelt Rosinenpicker. die sich nur einen Bürojob suchen, damit sie nicht mehr morgens um zwei Uhr zur Arbeit kommen müssen. Ein Stück weit kann ich das sogar verstehen. Und trotzdem: Morgen früh muss ich um drei Uhr auf der Matte stehen. Das mache ich zugegebenermassen nicht mehr oft, aber wenn das eingeteilt wird, dann arbeite ich danach.
Sarah: Sehr vorbildlich... Es dürfen nicht alle über denselben Kamm geschert werden. In den allermeisten Fällen hängen Teilzeitpensen und Spezialwünsche eng mit persönlichen Lebensabschnittsphasen zusammen. Hierfür wünschte ich mir manchmal mehr Verständnis.
Matthias: Für mich ist es ein grosser Vorteil, dass ich mir meine Fahrtage selber einteilen kann. Das ermöglicht mir Büro und Fahren ideal aufeinander abzustimmen. Ich lege Fahrtage bewusst auch zwischen Freitag und Montag, da ich es unfair fände, wenn ich nur Mo-Fr arbeiten würde. Teilweise muss ich noch ein Dienstende oder einen Dienstanfang vorgeben, damit alles aufgeht.
Simon: Gut. Eine Frage für den Professor: Sagen wir: Ich habe den Bachelor Mobility Science in der Tasche, hat Spass gemacht. Jetzt möchte ich gerne einen Master anhängen. Was bietet sich da an?
Prof. Sauter-Servaes: Da gibt es verschiedene Möglichkeiten. Sie können via Passerelle zur ETH wechseln. Alternativ können sie einen MSE (Master of Science in Engineering) absolvieren. Dieser bietet das Profil Business - Engineering an. Der starke Projektfokus ermöglicht es, sich dabei z.B. auf Bahn- oder andere Mobilitätsthemen zu fokussieren. Als dritte Option gibt es das trinationale Masterprogramm Europäische Bahnsysteme, das wir gemeinsam mit den Fachhochschulen Erfurt und St. Pölten organisieren. Das ist eine tolle Chance, sich berufsbegleitend weiterzubilden und zugleich ein internationales Netzwerk aufzubauen.
Simon: Dario, du hast den Master in Europäische Bahnsysteme gemacht. Wie war es denn so?
Dario: Sehr abwechslungsreich. Es gibt drei Standorte und jeder Standort hat seine Themen, die dort unterrichtet werden. Man hat blockweise Unterricht, also einmal pro Semester an jedem Standort eine Woche. Das ist gut mit Berufstätigkeit vereinbar, man muss halt Ferien oder Überzeit hergeben. Das Vernetzen geht weiter, mit Mitstudenten und Dozierenden. Es gibt viele neue Einblicke, gerade in die Sicherungstechnik, die wurde sehr detailliert angeschaut. Nebst dem Master hat mich natürlich auch das Studentenleben gelockt. Man geht eine Woche nach Wien, hat es dort lustig, pendelt mit dem Zug nach St. Pölten.
Simon: Wie lange dauert Wien-St. Pölten mit dem Zug? Eine Stunde?
Dario: Eine halbe Stunde. Du hast unter der Woche zwar ein strenges Programm, dir ist aber selbst überlassen, ob du das Wochenende vor- oder nachher noch nutzen möchtest, um Wien zu geniessen.
Simon: Was du ja hoffentlich gemacht hast.
Dario: Was wir natürlich gemacht habenJ.
Simon: Sehr schön. Dann habe ich noch eine hochschulpolitische Frage für Prof. Sauter-Servaes: Warum hat denn nach Ihrer Meinung die Eisenbahnnation Schweiz keinen Lehrstuhl für Eisenbahnplanung?
Prof. Sauter-Servaes: Gute Frage, aber wir arbeiten zumindest daran, zukünftig eine noch bessere Vertiefungsmöglichkeit im Studiengang Mobility Science anzubieten. Wer im Themenfeld Bahn studieren möchte, dem bieten wir mit Mobility Science viele der notwendigen Grundlagen und eine entsprechende Fokussierung im letzten Studiendrittel... Aber ja, es ist schon schade, dass uns im Bahnland Schweiz bislang kein noch besseres Studienangebot gelingt.
Simon: Meiner Meinung nach könnte unser System ein Exportschlager sein.
Prof. Sauter-Servaes: Es muss nicht mal ein Exportschlager sein. Mit den ganzen Babyboomern, die jetzt in Rente gehen, tun sich überall grosse Lücken auf. Wo sollen die notwendigen Fachkräfte denn alle herkommen, wenn wir sie nicht selbst ausbilden? Einfach darauf hoffen, dass die Länder um uns herum genügend Leute ausbilden, und die dann mit viel Geld hierherlocken? Eine riskante Strategie.
Dario: Das ist ein wichtiger Punkt. Bisher hat man in den Teilen der SBB, den ich so kenne, die Leute oft intern nachgezogen. Ich bin ein klassisches Beispiel: Ich war Lokführer, dann habe ich studiert und jetzt bin ich im Büro bei der Fahrplanplanung. Der Verlust von Bahn-Know-how ist etwas, dass die SBB je länger je mehr beschäftigt. Irgendwann hast du keine Internen mehr, die du nachziehen kannst und musst Externe einstellen. Und gerade als Lokführer hat man detaillierte Kenntnisse über die Bahnproduktion. Dieses Wissen wird in vielen Abteilungen der SBB sehr geschätzt, und auch zunehmend genutzt. Das sind zumindest die Erfahrungen, die ich bisher gemacht habe.
Simon: Ich persönlich hätte absolut Bock mitzugestalten, aber so ganz klappt das mit dem “Nachziehen” bei mir nicht. Warum, denkt ihr, ist das so?
Matthias: Die Problematik ist das Silodenken, das sich in unserem Unternehmen immer noch stark hält. Wieso sollte ein Chef Lokpersonal Interesse daran haben, dass seine Mitarbeiter in ein Studium gehen und danach voraussichtlich nicht mehr voll in den Fahrdienst zurückkehren. Da müsste man das Gesamtsystem mehr im Blick haben, aber dies wird weder geschult noch gelebt. Natürlich gibt es immer auch positive Ausnahmen, wie es unsere drei Beispiele zeigen.
Dario: Ich denke die SBB könnte den Studiengang mehr fördern. Also Leute intern direkt ansprechen: “Hey, du wärst doch ein/e Kandidat/in für Mobility Science, willst du nicht studieren gehen? Das wäre doch spannend für dich.” Man kann die Weiterentwicklung der Mitarbeiter auch über ein Studium fördern.
Prof. Sauter-Servaes: Ich fürchte, bei den Eisenbahnverkehrsunternehmen ist die Angst gross, dass die Mitarbeitenden, wenn sie studieren gehen, nachher nicht wiederkommen. Ängste, die überwiegend unbegründet sind, wenn man sich die Beispiele hier anschaut.
Simon: Die SBB ist ein super Arbeitgeber und sobald du von der Frontarbeit weggehst, ist sie ein exzellenter Arbeitgeber. Wenn ich da gewisse Stories von Dario höre, da wird mir richtig warm ums Herz. Wie steht ihr dazu?
Dario: So würde ich das jetzt zwar nicht formulieren, aber ich würde schon sagen: Die SBB als Lokführer und die SBB als Mitarbeiter im Büro, sind zwei verschiedene Welten, klar auch aufgabenbedingt. Das Lokpersonal arbeitet halt Punkt für Punkt seine Dienste ab und im Büro bekomme ich eine Aufgabe, die ich dann in einer gewissen Zeit in vorgegebener Qualität erledigen muss. Das sind dort meine Freiheiten. Wobei das Büropersonal jetzt fragt: “Welche Freiheiten? Das ist einfach normal.” für das Lokpersonal sind das aber Freiheiten.
Matthias: Im Gegensatz dazu erachte ich es als Lokführer als Freiheit, wenn ich nach dem Fahren einfach absteigen kann und keine Pendenzen nach Hause nehme, nicht so, wie im Büro, wo ich gewisse Projekte manchmal noch in der Nacht im Kopf wälze. Das Verhältnis Lokpersonal / Büropersonal ist von Vorurteilen geprägt, das merke ich jeweils in Diskussionen. Das Lokpersonal wird als engstirnig und das Büropersonal als faul und apéro freudig wahrgenommen. Ich versuche da jeweils zu vermitteln und aufzuzeigen, dass zum Beispiel das Lokpersonal zum Teil gar nicht die Informationen hat, die Zusammenhänge übergreifend zu sehen.
Simon: Die SBB kann ihre Leute bedenkenlos zum Studieren schicken. Die grosse Mehrheit der Leute wird bleiben, es ist ein gutes Unternehmen.
Prof. Sauter-Servaes: Wenn ich im ersten Semester frage: “Wie seid Ihr auf den Studiengang gekommen?”, dann höre ich überwiegend: “Eher zufällig”. Das ist extrem unbefriedigend. Wenn ich denke, wie viele Bahninteressierte weiterhin das Studienangebot nicht kennen und deshalb etwas anderes oder gar nicht studieren... Mehr Sichtbarkeit wäre erforderlich, ist aber schwierig zu realisieren und die Konkurrenz ist gross.
Dario: Ein Beispiel aus meinem Master: Die Deutsche Bahn unterstützt den extrem. Sie akquirieren salopp gesagt intern Leute für diesen Studiengang: “Hey, es gibt da diesen Studiengang Europäische Bahnsysteme, wir haben X Plätze zur Verfügung, meldet euch.” Das gibt einen internen Bewerbungskampf und wenn man reinkommt, wird einem da viel finanziert, z.B. Essen, Unterkunft.
Simon: Macht die SBB auch etwas in diese Richtung?
Dario: Ich habe beim Master von der SBB auch Unterstützung erhalten, die SBB hat sich als Arbeitgeber im normalen Rahmen einer Weiterbildung finanziell beteiligt. Ich habe aber noch nie erlebt, dass die SBB kommt und sagt: “Hey, wir haben da diverse Weiterbildungen, wäre da nicht eine für dich dabei?” Da könnte man sicher mehr machen. Denn irgendwoher müssen die Leute kommen, auch von extern, da sollte man zeitig für Nachwuchs sorgen. Ein Teil kann mit Effizienzsteigerungen aufgefangen werden, aber nicht alles.
Simon: Ich danke allen Teilnehmern sehr für dieses Gespräch.