64. GV 2021 Mendrisio TI / 19. März 2022

64. VSLF Generalversammlung in Mendrisio TI

Unser Sektionspräsident der gastgebenden Sektion Ticino, Pietro Pangallo, begrüsste rund 45 Gäste und über 110 Lokführer/innen mit über 30 Partner/innen bei strahlendem Frühlingswetter in Mendrisio im Südtessin. Nach zwei abgesagten Generalversammlungen aufgrund des Corona-Virus in den letzten zwei Jahren war die Stimmung gut.

Die Grussworte der Gemeinde Mendrisio überbrachte der Gemeindepräsident Samuele Cavadini.

Als Vertretung des Kanton Tessin richtete der Nationalrat Marco Romano seine Worte an die Anwesenden. Da Herr Romano auch Mitglied der Verkehrskommission ist, stiessen seine Worte auf entsprechendes Interesse.

Ebenfalls als regionale Vertretung durften wir den Ausführungen von Denis Rossi, als CEO der TILO Treni Regionali Ticino-Lombardia folgen.

Der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer, Claus Weselsky, überbrachte die Grussworte der Kollegen aus Deutschland. Er beklagte die diversen Probleme bei den Eisenbahnen in Deutschland, insbesondere im Gegensatz zum Eisenbahnsystem in der Schweiz. Auch lobte er die Schweizer Sozialpartnerschaft und legte uns ans Herz, dieser Sorge zu tragen. Auf die Frage, was das Erfolgsrezept für die Schlagkraft der GDL sei, betonte Weselsky, dass er grundsätzlich nur den Mitgliedern verpflichtet sei. Diese klare Interessenvertretung der Mitglieder sei die Grundlage für das uneingeschränkte und gegenseitige Vertrauen zwischen den Mitgliedern und der Leitung der GDL.

Als Hauptreferent war es uns eine Freude, den neuen CEO der SBB, Vincent Ducrot, ein erstes Mal live bei uns zu haben.

In seinem Referat bestätigte er, dass der polyvalente Einsatz des Lokpersonals  weiterhin sein Ziel sei. Die Umsetzung benötige Zeit. Die notwendigen Einsparungen bei der SBB von 6 Milliarden Franken bis 2030 sollen nicht beim Betriebspersonal eingespart werden. Ducrot betonte, dass der neue Lohnaufstieg für das Lokpersonal ein richtiger Entscheid sei für die Personalgewinnung in Zukunft. Aktuell bereitet das Ausbleiben von Pendlern Sorge, da damit Einnahmen fehlten. Politische Entscheide für eine Weichenstellung bei SBB Cargo sind 2022 zu erwarten.

Der Präsident des VSLF Hubert Giger ging in seiner Rede zuerst auf das Geschäftsjahr 2021 ein. Ein Rückblick auf die letzten Jahre des VSLF war erfreulich. So hat sich der Vorstand VSLF deutlich verjüngt. In den letzten drei Jahren hat sich die Mitgliederzahl um 17% erhöht und seit 2006 mehr als verdoppelt auf über 2‘250 aktive Kolleginnen und Kollegen.

Der Rückblick auf die Corona-Jahre fiel durchzogen aus. Primär beklagte Giger nicht die fehlenden Desinfektionsmittel zu Anfang der Pandemie sondern vielmehr das Aufbrechen einer Zweiklassengesellschaft bei der Wertigkeit der Angestellten. Dass neben dem Aufrechterhalten des Betriebs vom fahrenden Personal eineVerschlechterung von vereinbarten Arbeitszeitregelungen erwartet wurde, enttäuschte schwer.

Die sich massiv verschlechterten Verbindlichkeiten betreffend Arbeitszeiten, welche einhergehen mit den Möglichkeiten von IT-Lösungen, belasten das Sozial- und Familienleben wie auch die Gesundheit. Parallel dazu nehmen die extremen Arbeitszeiten in der Nacht zu.

Bei SBB Cargo International verlangt man aktuell bei den abgeschlossenen GAV-Verhandlungen eine merkliche Verschlechterung der jetzt schon strengen Arbeitszeitregelungen. Eine finanzielle Kompensation erhalten aber alle Mitarbeiter - also auch hier eine Zweiklassengesellschaft-Mentalität. Giger betont, dass eine Zustimmung solcher Verschlechterungen mit dem VSLF nicht zu machen ist. Über die Gründe, warum solche unbestrittenen Verschlechterungen von allen anderen Parteien akzeptiert werden, könne man nur mutmassen.

Trotz dem neuen Lohnaufstieg des Lokpersonals bei der SBB bleibt die Tatsache bestehen, dass das Lokpersonal seit über 20 Jahren keine reale Lohnerhöhung mehr erhalten hat. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit bedeutet auch bei den Tochterfirmen der SBB Nachbessrungen einzufordern und Ungleichheiten zu beseitigen.

Bezüglich der Digitalisierung der Eisenbahn stellte der VSLF Präsident fest: «die wichtigste Trumpfkarte der Eisenbahn jetzt und in Zukunft ist die Zuverlässigkeit. Und es ist schon erstaunlich, dass wir mit so modernen digitalen Systemen und so hohen finanziellen Investitionen die Stabilität der Eisenbahn nicht erhöht haben.»

Für die Zukunft sei absehbar, dass die von der Industrie versprochenen Lösungen die Eisenbahn nicht zuverlässiger und robuster machen, sondern nur die Kosten massiv nach oben treiben werden. So sei die Verlängerung der Fahrzeiten zusammenfassend eine Bankrotterklärung.

Zur 175 Jahre Schweizer Bahnen-Feier erwähnte Giger, dass unser Bundespräsident Ignazio Cassis die Eisenbahn als wichtig bezeichnete und sie ein Symbol dafür ist, was uns in der Schweiz eint. Dieses Vertrauen ist Gold wert und sollte nicht leichtfertig verspielt werden.

(Die gesamten Reden sind unter www.vslf.com veröffentlicht und erscheinen im nächsten LocoFolio.)

Folgende Gäste konnten begrüsst werden:

SUST:

 

Christoph Kupper

Bereichsleiter Bahnen und Schiffe SUST

BLS:

 

Daniel Schafer

CEO BLS AG

Roger Bhend

Leiter Zug- und Lokpersonal BLS AG

SBB AG

 

Markus Jordi

Leiter Human Resources, Mitglied der Konzernleitung SBB AG

Jochen Decker

Leiter IT SBB AG, Mitglied der Konzernleitung SBB AG

Peter Kummer

Leiter SBB Infrastruktur SBB AG, Mitglied der Konzernleitung SBB AG

Bernhard Meier

Kommunikation Public Affairs und Regulation SBB AG

Sibylle Hug

Leiterin HR Beratung und Personalpolitik SBB AG

SBB Cargo:

 

Isabelle Betschart

Leiterin Produktion SBB Cargo

SBB P:

 

Linus Looser

Leiter SBB P Produktion, Mitglied der Konzernleitung SBB AG

Reto Liechti

Leiter SBB P Produktion Bahnproduktion

Andreas Haller

Leiter HR Produktion Personenverkehr

Mario Rivera Rua

Leiter SBB P Produktion Sicherheit, Qualität und Umwelt

Claudio Pellettieri

Leiter SBB P Bahnproduktion ZFR

Leopold Trovatori

Leiter SBB P Bahnproduktion ZFR Mitte

Fabian Rippstein Bornhövd

Leiter SBB P Bahnproduktion ZFR Ost

SBB Cargo International:

 

Sven Flore

CEO SBB Cargo International

Manuel Wyss

Leiter Betrieb SBB Cargo International

SOB:

 

Daniel Garcia

Leiter Transport SOB AG

Dieter Ugolini

Leiter Lokpersonal SOB AG

Thurbo:

 

Claudia Bossert

Unternehmensleiterin Thurbo AG

MEV:

 

Tommaso Di Benedetto

CEO MEV Schweiz AG

Stefan Zimmermann

Leiter Qualität und Sicherheit MEV Schweiz AG

railCare:

 

Philipp Wegmüller

Vorsitzender der Geschäftsleitung railCare AG

Daniel Muff

Fachspezialist HR railCare AG

VHBL: Verein für die höhere Berufsbildung der Lokomotivführerinnen und Lokomotivführer

Manfred Haller

Präsident des Vorstandes VHBL, Consulting Group SBB AG

Gewerkschaften und Verbände:

Alexander Gabsch 

Vorsitzender GDL-Ortsgruppe Haltingen, Bezirk Süd -West

Weiter / Partner:

 

Diana Pasquariello Schmid

Co-Leiterin Spezialgeschäfte CAP

Barbara Sibilla

Juristin Spezialgeschäft CAP

Daniel Breitenmoser

Jurist CAP Rechtsschutz Versicherung

Serge Flury

Rechtsanwalt

Rolf Gutzwiller

Bahnspezialist

Michael Gut

Account Manager crossfolio GmbH

Patrick Wälty

Mitglied der Geschäftsleitung Feldner Druck AG

Markus Beer

Eisenbahn Beratung

Georg Trüb

Eisenbahnphotograf

____________________________________________________________________________________________________________________

Interne Versammlung

Nach dem Apéro und Lunch am Mittag standen im internen Teil der Generalversammlung die statuarischen Geschäfte an. Als Tagespräsidentin führte die Kollegin Rahel Wyss durch die Traktanden.

Der Kassier Tobias Früh konnte ein erfreuliches Ergebnis für das Geschäftsjahr 2021 präsentieren, welches mit einem ansehnlichen Gewinn abschloss.

Anträge

Folgende Anträge wurden an der Versammlung behandelt:

Antrag 1:

Antragsteller: Sektion Tessin

Aufnahme von Verhandlungen zu Reiseerleichterungen in der Region Lombardei (FIP).

Was in fast allen EU-Ländern gilt, wird auf der Südseite der Schweiz seit einigen Jahren nicht mehr gewährt, weil die Freifahrtscheine in allen Fernverkehrszügen auf italienischem Gebiet nicht gültig sind.

Der VSLF soll bei den entsprechenden Stellen versuchen, Verbesserungen zu erreichen.

Der Antrag wurde angenommen.

Antrag 2:

Antragsteller Sektion Luzern-Gotthard

Finanzielle Abgeltung der Sprachprüfungen

Das Absolvieren und erfolgreiche Bestehen von Sprachprüfungen schlägt sich für das Lokpersonal bislang in keiner finanziellen Abgeltung nieder. Hingegen wird für das Erlernen und Anwenden von ausländischen Vorschriften eine Entschädigung bezahlt.

Der Antrag wurde angenommen.

Antrag 3:

Antragsteller Sektion Genf

Keine Arbeit auf Abruf in der Freizeit

Allzu oft verkürzt oder streicht RP ohne Rücksprache die Pausen der Lokführer, damit zusätzliche Arbeitsleistungen erbracht werden können.

So wird die Essenspause in eine minimale Arbeitsunterbrechung umgewandelt, was zu grosser Unzufriedenheit führt. Das Lokpersonal wird nach der aktuellen Regelung gezwungen, je nach Anforderungen des Arbeitgebers Arbeit auf Abruf zu akzeptieren. Je nach Arbeitsanfall bleibt die Pause unbezahlt oder wird kurzfristig aufgehoben und in Arbeitszeit umgewandelt.

Der Antrag wurde angenommen.

Résumé

Beim Rückblick auf die Anträge der letzten GV 2018 und den Delegiertenversammlungen 2019 und 2020 von Basel wurde festgestellt, dass ein grosser Teil der Anträge vom Vorstand VSLF erledigt wurde.

Wahlen

Zur Wiederwahl standen der Präsident Hubert Giger und das Vorstandsmitglied Marc Engelberger (Romandie). Beide wurden in ihrer Funktion bestätigt.

Am Abendprogramm im Hotel Coronado genossen über 80 Kollegen/innen und Partner/innen die Tessiner Gastfreundschaft. Es war ein voller Erfolg.

VSLF Nr. 711, 19. März 2022, RF/HG


Ablauf GV

8:30    Eintreffen der GV Teilnehmer und Begrüssungskaffee im Foyer Hotel Coronado
     
10:00   Beginn Begleitprogramm, Bus nach Tremona/Arzo (neue Zeit, angepasst auf den Beginn der GV)
     
10:00   Beginn der Generalversammlung im Sala Mte. Morello
    - Grussworte der gastgebenden Sektion Ticino
- Grussworte und Eröffnung der GV durch den Präsidenten VSLF

Referate
- Vincent Ducrot; CEO SBB AG
- Hubert Giger; Präsident VSLF
     
12:00   Ende des offiziellen Teils der Generalversammlung
12:15   Stehlunch im Foyer / Ristoranti Locanda San Gottardo (offeriert vom VSLF, inklusive Gäste)
     
14:00   Beginn interner, geschäftlicher Teil der GV im Sala Mte. Morello (ohne Gäste)
     
17:00   Ende der GV, anschliessend Apéro im Foyer (offeriert vom VSLF)
18:30   Beginn Abendprogramm und Abendessen Hotel Coronado, Mendrisio TI

Reden / Discours / Relazione



Pietro Pangallo, Sektionspräsident Sektion Ticino

Guten Morgen an alle,

Ich heisse Sie herzlich willkommen hier im sonnigen Kanton Tessin. Es ist mir eine Ehre, als Präsident der Sektion Tessin die 64. Generalversammlung des VSLF zu eröffnen.

Zunächst möchte ich alle Gäste, die unserer Einladung gefolgt sind, begrüßen und mich bei ihnen bedanken, und natürlich auch bei allen meinen heute anwesenden Lokführerkollegen. Wie Sie wissen, mussten wir diese Veranstaltung aufgrund der Pandemie in den letzten zwei Jahren absagen, daher freuen wir uns sehr, dass wir heute wieder zusammenkommen können. Es ist sicher sehr beruhigend, dass dieser Konferenzraum so voll ist wie noch vor einigen Jahren!

Ich komme nun zum Kern meiner Rede, um Ihnen kurz vorzustellen, was der heutige Tag bedeutet:

Seit der Neugründung des VSLF im Jahr 1957 ist dies das neunte Mal, dass die Sektion Tessin die Freude hat, Gastgeberin der Generalversammlung zu sein. Als Standort haben wir die Stadt Mendrisio gewählt; das ist kein Zufall, denn die Stadt hat sich in den letzten Jahren zu einem sehr wichtigen Knotenpunkt für die Mobilität im Tessin entwickelt. Wie Sie vielleicht schon seit Ihrer Ankunft in der Stadt feststellen konnten, wurde der Bahnhof komplett renoviert, ein neuer Busbahnhof wurde gebaut, und nur einen Steinwurf vom Bahnhof entfernt befindet sich der neue große Universitätscampus der Supsi.
Mit dem Bau des Ceneri-Basistunnels können wir heute sagen, dass Mendrisio sicherlich näher an Locarno, Bellinzona und der ganzen Deutschschweiz liegt. Dazu hat dieser Tunnel die Besonderheit, dass er unterschiedslos vom Hochgeschwindigkeitsverkehr, Regionalverkehr und Güterverkehr genutzt wird.
Ebenso wichtig war 2018 für die Stadt die Einweihung der Bahnstrecke Mendrisio - Varese, die die Mobilität mit der nahe gelegenen Lombardei viel einfacher und attraktiver macht.

Als Vertreter der Tessiner Lokomotivführer kann ich nur unsere Zufriedenheit über all diese Neuerungen zum Ausdruck bringen, die unseren Kanton in den Augen der obersten Leitung der Eisenbahnen sicherlich in den Mittelpunkt gerückt haben.

Die Zahl der heute im Tessin tätigen Lokführer hat im Vergleich zu früher stark zugenommen, und zwar sowohl im Güter- als auch im Personenverkehr. Trotz alledem empfindet unsere Kategorie das Thema des Lokführermangels als nach wie vor aktuell.
Wir waren schon immer bereit, die Herausforderungen anzunehmen, die der Fortschritt und die Innovation in der Bahntechnik mit sich bringen, aber wir möchten, dass dies nicht unbewusst zu der Annahme führt, dass weniger Professionalität als in der Vergangenheit erforderlich ist.

Ich beziehe mich beispielsweise auf die Projekte zum automatischen Führen von Zügen, die diejenige, die sich unserem Beruf zum ersten Mal nähern möchten, sicherlich nicht optimistisch stimmen. Konkrete Vorteile für die Kunden als Folge für das investierte Geld gab es bisher nicht.

Damit schließe ich meine kurze Rede. Ich möchte mich nicht lange aufhalten, denn wir haben das Vergnügen, wichtige Persönlichkeiten zu Gast zu haben, und ich möchte ihnen so schnell wie möglich das Wort erteilen.

Der erste Teil der Versammlung findet auf Italienisch statt, der zweite auf Deutsch.

Das ist alles, wir wünschen Ihnen einen angenehmen Aufenthalt in Mendrisio. Sie sollen willkommene Gäste der Sektion VSLF TICINO sein!


Samuele Cavadini, Bürgermeister von Mendrisio

Nationalrat, lieber Marco,
Nationaler Präsident des Verbandes Schweizer Lokomotivführer und Anwärter, Hubert Giger,
Präsident der Tessiner Sektion des Verbandes Schweizer Lokomotivführer und Anwärter, Pietro Pangallo,
Sehr geehrte Damen und Herren, Vertreter des UVEK, des BAV, der Gewerkschaften,
CEO SBB AG Vincent Ducrot,
Delegierte der Generalversammlung,

Es ist mir eine große Ehre und Freude, die Grüße der Stadtverwaltung an Ihre Versammlung zu überbringen und Sie in unserer Stadt willkommen zu heißen. Mendrisio ist stolz darauf, den Verband Schweizer Lokomotivführer und Anwärter zu Gast zu haben, da der Schienenverkehr für uns sehr wichtig ist.

Unsere Stadt hat 15.000 Einwohner, etwa 17.000 Arbeitsplätze und eine große Zahl von Studenten. Unser Gebiet ist sehr vielfältig und umfasst zwei Berge: den Monte Generoso, eine regionale Touristenattraktion (auch dank der Generoso-Eisenbahn, die die Ebene mit dem Gipfel verbindet), und den Monte San Giorgio, ein UNESCO-Weltkulturerbe (wegen seiner Fossilienfunde). Es gibt auch das UNESCO-Label für die Prozessionen der Karwoche.

Wir haben aber auch ein Seengebiet und eine Talsohle mit einem Industrie-, Dienstleistungs- und Handelssektor, zu dem international tätige Unternehmen gehören. Wir sind Sitz der USI-Akademie für Architektur, zu deren Gründern der Architekt Mario Botta gehört.

Im Jahr 2021 wurde der neue Sitz der SUPSI mit der Abteilung für Umwelt, Bau und Design eingeweiht, der sich in einem der strategisch wichtigsten Gebiete unserer Stadt befindet, dem Bahnhof.

Derzeit arbeiten wir an einer neuen Variante des Stadtentwicklungsplans für dieses Gebiet, um sein Potenzial dank der strategischen geografischen Lage voll auszuschöpfen. Das Gebiet liegt in der Tat im Zentrum wichtiger Verkehrswege, die mit Como und Varese (Malpensa) verbunden sind, und auf der wichtigen Süd-Nord-Achse.

Mendrisio und das Mendrisiotto sind aber auch bekannt für die Intensität des Autoverkehrs mit seinen Folgen für die Umwelt und die Lebensqualität der Einwohner.

Deshalb arbeiten wir an einer neuen territorialen Vision durch innovative Planungsinstrumente und modernere und partizipative Ansätze für die verschiedenen Themen.

Das Verkehrsmanagement ist einer der Hebel, auf den wir uns für die nachhaltige Entwicklung von Mendrisio konzentrieren wollen. Wir wollen die langsame, gemeinsame und öffentliche Mobilität fördern, und die Eisenbahn spielt dabei eine Schlüsselrolle, sowohl als Verkehrsmittel als auch zur Verbesserung der Verbindungen und der Entwicklung der Gebiete um Bahnhöfe und Haltestellen.

Wir haben große Schieneninfrastrukturprojekte wie Alptransit immer mit Überzeugung unterstützt und hoffen, dass es im Süden bald fertig wird, aber wir haben unsere Zweifel am Ausbau der Hauptverkehrsadern.

Wir werden jedoch nicht in der Lage sein, die Herausforderung allein zu bewältigen: Neben einer Konvergenz der Visionen und Ziele müssen wir mit den verschiedenen öffentlichen und privaten Akteuren zusammenarbeiten. In diesem Sinne ist zum Beispiel die SBB ein wichtiger Partner, und es ist wichtig, dass sie mit uns das grosse Potenzial der Stadt und ihres Eisenbahnsektors teilt. Ich freue mich deshalb, dass der CEO der SBB heute ebenfalls anwesend ist.

Abschließend möchte ich jedem einzelnen von Ihnen für Ihre Arbeit danken. Sie haben einen Beruf gewählt und sich verpflichtet, der Gemeinschaft zu dienen und dafür zu sorgen, dass jeder Einzelne von uns seine Reisebedürfnisse sicher, effizient und angenehm mit einem typisch schweizerischen Ansatz erfüllen kann.

Ich wünsche Ihnen gute Versammlungsarbeiten und vor allem einen angenehmen Aufenthalt in Mendrisio und die Entdeckung unserer kleinen Stadt, die Ihnen hoffentlich in guter Erinnerung bleiben wird.

Samuele Cavadini, Bürgermeister von Mendrisio
Trad.: Anita Rutz / 23.03.2022


Marco Romano, Consigliere Nazionale Cantone Ticino


Denis Rossi, CEO TILO SA Treni Regionali Ticino-Lombardia


Claus Weselsky, Bundesvorsitzender Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer GDL


Vincent Ducrot, CEO SBB AG


Hubert Giger, Präsident VSLF

Hubert Giger/ Präsident VSLF
Rede zur GV 2021 / Mendrisio TI / 19. März 2022

Geschäftsjahr VSLF

Sehr geehrte Damen und Herren
Geschätzte Kolleginnen und Kollegen

Zuerst überwiegt die Freude, heute zusammen wieder eine Generalversammlung vor Ort im schönen Tessin durchführen zu können.

Die beiden Generalversammlungen in den letzten zwei Jahren mussten abgesagt werden. So gilt der Rückblick auf das Geschäftsjahr des VSLF auch den beiden zurückliegenden Jahren.

Trotz der Corona bedingten Einschränkungen sind wir beschluss- und handlungsfähig geblieben. Die letzten zwei Generalversammlungen wurden als Delegiertenversammlungen im Postverfahren durchgeführt.

In den letzten drei Jahren wurde die Hälfte des Vorstands neu gewählt und das Durchschnittsalter im Vorstand ist von 47,5 Jahren auf 42 Jahre gesunken. Es ist erfreulich, dass uns Nachwuchsprobleme keine Sorgen bereiten. Gleichzeitig ist die Mitgliederzahl in den letzten drei Jahren um 17% angestiegen.

Seit dem Jahr 2006 hat sich die Mitgliederzahl des VSLF mehr als verdoppelt auf heute über 2'250 aktive Mitglieder. (Bild 1)

Offensichtlich ist das Interesse nach einer guten Personalvertretung gross und diese auch notwendig. Wir freuen uns über das Vertrauen, das wir durch Ehrlichkeit, Integrität und die Kenntnis unserer Probleme und Bedürfnisse hart erarbeitet haben.

Auch ein guter Berufsrechtsschutz durch die CAP Rechtsschutz trägt das seinige dazu bei.

Der VSLF hat sich gefestigt und deutlich an Kontur gewonnen. Wir sind heute DER Lokomotivführer-Verband der Normalspurbahnen in der Schweiz.

Zudem sind wir finanziell gesund, dies auch wegen einer sehr sparsamen Geschäftsführung und einem guten Augenmass dafür, was den Mitgliedern und den Bahnen eine Wertschöpfung bringt, und was nur Kosten verursacht. Schliesslich stehen wir für eine effiziente Verwendung der uns anvertrauten finanziellen Mittel in der Verantwortung.

Mein grosser Dank gilt allen internen Diensten und Helfern im VSLF; insbesondere der Mutationsstelle, dem Kassier und der neuen Funktion Stellvertreter Kassier.

Und natürlich ein grosses Dankeschön an unsere Mitglieder für ihr Vertrauen.

Rückblick Corona

Bei einem Rückblick muss auch auf die Corona-Pandemie eingegangen werden.

Für das Lokpersonal gab es kaum Änderungen, wir haben auch in dieser ungewöhnlichen Situation wie immer unsere Arbeit gemacht. Zugausfälle gab es vor allem wegen dem hausgemachten Personalmangel, nicht wegen Corona-bedingten Ausfällen.

Dass trotz des Herunterfahrens des Verkehrs kein Lokpersonal eingespart werden konnte, zeigt deutlich, was von den IT-Versprechungen der automatisierten Einteilungsprogramme zu halten ist. Die schöne neue Welt der automatisierten Prozesse scheitert an den einfachsten Aufgaben, die noch vor wenigen Jahren ein paar kompetente Mitarbeiter problemlos bewältigt hätten.

Man könnte daraus lernen... wenn man will.

Wir erinnern uns, dass wir Lokführer am Anfang der Pandemie Züge aus den Gefahrengebieten Italien und dem Elsass übernahmen, als noch niemand wusste, welchen gesundheitlichen Gefahren man sich aussetzen wird. Da war die Angst mit dabei.

Dass wir Lokführer den gesamten Verkehr im Auftrag der öffentlichen Hand weiterführen mussten, konnten wir akzeptieren. Ebenso, dass wir lange keine Desinfektionsmittel hatten und dass die Personalrestaurants und weitere Verpflegungsmöglichkeiten geschlossen wurden.

Aber diese Selbstverständlichkeit, mit der das fahrende Personal trotz der unsicheren Lage herausgeschickt wurde, um den Betrieb aufrecht zu erhalten, ist vielen Mitarbeitern sauer aufgestossen.

Während Mitarbeiter ins Homeoffice geschickt wurden, um sich und ihre Familie zu schützen, wurde von uns sogar gefordert, auf vereinbarte Arbeitszeitregelungen zu verzichten, um den Auftrag und die finanzielle Unterstützung der öffentlichen Hand nicht zu gefährden.

Im Gegensatz zum Zugpersonal haben wir die geforderten Verschlechterungen der Arbeitszeitregelungen nicht akzeptiert, da für uns die Aufrechterhaltung des Betriebs eine Selbstverständlichkeit war.

Bei der Basis organisierten wir uns während dieser Zeit zum grössten Teil selber. Dies funktionierte sogar schneller und effizienter, da der Betrieb auf das Notwendigste reduziert war. Wir erhielten während der Coronazeit fast keine Änderungen oder Anpassungen von Betriebsvorschriften, Reglementen oder Touren; die gesamte Bürokratie wurde massiv heruntergefahren. Für Viele war es eine Erleichterung, endlich wieder echte Probleme in Zusammenarbeit mit kompetenten Kollegen vor Ort zu lösen, anstatt Prozessabläufe und Statistiken zu bewirtschaften.

Und alles funktionierte, trotz – oder sogar: wegen – der fehlenden Bürokratie.

Dies sollte uns zu denken geben.

Ich attestiere den Bahnen, dass sie die Möglichkeit der Isolation für Risikogruppen sehr pragmatisch und unkompliziert ermöglichten. Vieles verlief diesbezüglich in einem sehr fairen und anständigen Geist. Herzlichen Dank dafür.

Arbeitsbelastung / Lohn

Wir erledigen unsere Arbeit gerne. Wir erwarten weder Homeoffice noch gleitende Arbeitszeiten. Aber auch wir schätzen gute und zeitgemässe Arbeitsbedingungen.

Dazu gehören zum Beispiel maximale Verbindlichkeiten betreffend Arbeitszeiten, die sogenannten Avisierungsfristen. Die Zuverlässigkeit der Planungen schwindet parallel mit den zunehmenden Möglichkeiten von IT-Programmen. Obwohl zumindest im Personenverkehr über 90% der Züge ein Jahr vorausgeplant werden können, wird ein grosser Teil der Leistungen für das Lokpersonal täglich geändert; dies zu Lasten des Soziallebens, der Familie und auch der Gesundheit. Dass diese Erschwernisse bei den Cargo-Bahnen mit einer deutlich höheren Volatilität um keinen Deut besser sind, versteht sich.

Das Lokpersonal wird auf die Minute genau verplant. Auch Pausen richten sich nach der Verfügbarkeit für den Betrieb, nicht nach den Bedürfnissen der Mitarbeiter.

Dass die Leistungen in den Arbeitsschichten seit Jahren laufend zunehmen, auch aufgrund des dichteren Verkehrs und höheren Geschwindigkeiten, ist ebenso eine Tatsache wie schwindende Erholungszeiten durch kürzere Wendezeiten der Züge.

Dass die extremen Arbeitszeiten in der Nacht zugenommen haben, ist dem Verkehr geschuldet, belastet die Gesundheit aber trotzdem stark und unablässig.

Diese Mehrbelastungen und Flexibilisierungen gelten immer mehr als selbstverständlich. So hat das Lokpersonal seit über 20 Jahren keine reale Lohnerhöhung mehr erhalten. Im Gegenteil: es werden laufend neue Argumente gesucht, um zusätzliche Leistungen nicht bezahlen zu müssen, oder wenigstens nur teilweise. Mittlerweile wird sogar aufgrund nicht plausibler Stellenbeschriebe das aktuelle Lohnniveau des Lokpersonals in Frage gestellt.

Im neuen GAV von SBB Cargo International verlangt man, dass der Mehrverkehr in den frühesten Morgenstunden mit Verschlechterungen bei den Arbeitszeitregelungen kompensiert werden soll. Sogenannte Flexibilisierungen. Wohlverstanden, die Dienste beginnen oft um 11 oder 12 Uhr; in der Nacht. Und sie dauern bis in den Morgen. Dies an 6 Tagen hintereinander. Im Wechsel mit Früh- und Spätdiensten. Jahrein – Jahraus.

Dass der geplante finanzielle Ausgleich SBB Cargo International für diese Belastungen an alle Angestellten in der Firma verteilt werden soll, obwohl diese nur vom Lokpersonal geleistet werden, offenbart hier eine Zweiklassengesellschaft-Mentalität.

Solche offensichtlichen Ungleichbehandlungen in den Unternehmen sind ungesund und gefährlich. Während bei der Basis jeder Franken dreimal umgedreht wird, sind woanders fast unbegrenzte Mittel vorhanden.

Aus aktuellem Anlass gestatten Sie mir ein paar Worte zu den abgeschlossenen GAV-Verhandlungen bei SBB Cargo International.

Wir haben bereits am Anfang der Verhandlungen mitgeteilt, dass wir diese Ungleichbehandlung und einseitige Mehrbelastung nicht mittragen können. Interessiert hat es offenbar niemanden.

Die Verschlechterungen für die Arbeitszeitregelungen beim Lokpersonal werden weder vom Arbeitgeber noch den anderen Gewerkschaften bestritten. Sie alle äusserten ihre Bedenken zur Gesundheitsbelastung, die in einem scharfen Kontrast stehen zu der Geschäftsphilosophie wie im Ingress des GAV beschrieben.

Trotzdem scheint der Arbeitgeber nicht interessiert zu sein am langfristigen Wohl seiner Unternehmung und ignoriert die Bedenken. Über die Gründe können wir nur mutmassen.

Dass aber unsere Partner-Gewerkschaften bewusst und sehenden Auges ein Teil des Personals ohne Notwendigkeit oder Druck einer erhöhten Gesundheitsbelastung aussetzt, offenbart ein seltsames Verständnis für eine integre Personalvertretung. Und es entspricht auch nicht den grossen gewerkschaftlichen Zielen vom Gleichgewicht von Berufs- und Privatleben bis hin zur Frauenförderung.

Der VSLF sagte Nein zu den Arbeitszeitverschlechterungen auf Kosten der Gesundheit und Sicherheit, zumal es der Firma gut geht und gemäss eigenen Aussagen kein Handlungsbedarf besteht. Dies erwarten unsere Mitglieder zu recht von uns.

Wir bedauern, dass die über 9 Monate dauernden Verhandlungen kein Resultat hervorbrachten, dem wir mit Überzeugung zustimmen können.

Auch mit anderen Bereichen und Beschlüssen hat man in den letzten Jahren gezielt einzelne Personalgruppen geschont und andere zur Kasse gebeten. Ich spreche nicht von Lohnstufen oder Berufsgruppen, ich spreche von Jung und Alt.

Die SBB Sparmassnahmen im Jahre 2021 sind einzig zulasten der jungen Kolleginnen und Kollegen im Aufstieg gegangen. Die alten Mitarbeiter haben sogar gleichzeitig eine Prämie von 200 Fr erhalten. Ich weiss bis heute nicht wofür, kann es mir aber vorstellen.

Töchter

Ein weiterer störender Zustand ist die Ungleichbehandlung des Personals auch in Mutter- und Tochterfirmen mit grossen Unterschieden in Lohn und Arbeitsbedingungen trotz identischer Arbeit. Und das sogar mit denselben Logos auf den Zügen und auf den Briefköpfen.

So haben die Kollegen der GDL in Deutschland erreicht, dass das Tarifniveau des Branchenleaders DB bei allen Bahnen angewendet wird. Die Begründung ist einfach: Für dieselbe Arbeit gibt es denselben Lohn. Dies ist auch in unseren GAV’s so verankert. Und der Wettbewerb wird nicht auf Kosten des Personals ausgetragen.

Man ist nicht der beste Arbeitgeber im Land, wenn man mit Tochterfirmen das Niveau drückt. Die Kantone und Regionen können billigen – weil durch die Muttergesellschaften quersubventionierten - Regionalverkehr bestellen und die attraktiven und gut dotierten Arbeitsplätze sind im Mutterhaus angesiedelt.

Dass wir bei der SBB einen Lohnaufstieg für die neuen Lokführer vom Minimum zum Maximum innert 10 Jahren vereinbart haben, ist eine gute, aber längst überfällige Massnahme; eine notwendige Investition, um überhaupt interessierte Personen für den Beruf zu gewinnen und zu halten.

Nur eben, dieser 10-jährige Aufstieg ist nichts anderes als das, was wir vor 20 Jahren bereits hatten. Also keine Neuerung, sondern ein Abschaffen grosser Einsparungen auf Kosten junger Kollegen über Jahrzehnte.

Das Modell «Blumenthal» der Nuller-Jahre mit der Variante Billig-Lokführer ist definitiv zu Ende. Wie tönt es aktuell von Seiten Arbeitgeberverband: Wenn man gute Mitarbeiter anstellen will, muss man sich als attraktiver Arbeitgeber einiges einfallen lassen.

Und wir brauchen nicht nur gute Mitarbeiter, sondern auch viele.

So gehen in den nächsten Jahren 10'000 Kollegen in Pension. Zusammen mit ihrem Bahn-Knowhow.

Die durch die Pandemie verursachten finanziellen Herausforderungen der Bahnen sind auch eine Gelegenheit, sich wieder vermehrt auf die Kernkompetenzen zu fokussieren: Wir sollten wieder in effiziente Produkte investieren statt in teure Zukunfts-Illusionen. Wenn wir Stabilität möchten, muss die Technik den Menschen unterstützen, nicht umgekehrt.

Damit sind wir bei den Themen digitale Systeme und ETCS angelangt.

Digitalisierung / ETCS

Die technischen Entwicklungen forderten von den Bahnen stets Anpassungen ab. Im heutigen digitalen Zeitalter ist aber die Versuchung gross geworden, die Eisenbahn neu zu erfinden. Man glaubt, dass Kapazitätsprobleme mit IT-Programmen gelöst werden können und dass die Robustheit des Fahrplans von Bits und Bytes abhängt. Die menschlichen Kompetenzen sollen soweit als möglich ergänzt oder ersetzt werden durch Algorithmen.

Und was haben wir aktuell in Wirklichkeit?

  • Es gibt immer noch keine Fahrzeuge, welche sich selbst in Betrieb nehmen und die Fahrbereitschaft herstellen. Die modernen, mit neuester digitaler Technik vollgestopften Fahrzeuge brauchen bis zu 8x länger für die Inbetriebnahme.
  • Das europäische Sicherungssystem ETCS scheitert seit 40 Jahren im Versuch, europakompatibel zu werden. Allein in der Schweiz gibt es 5 unterschiedliche, nicht kompatible ETCS Varianten.
  • Viele «Assistenzsysteme», die uns als Zwischenstufe bis zur Automatisierung im Jahr 2065 verkauft werden, müssen permanent kontrolliert und korrigiert werden, weil sie unzuverlässig sind. Sie werden zunehmend zu einer Belastung.
  • Zurzeit wird das System ETCS Baseline 3 ausgerollt, eine weitere Insellösung in der Schweiz, die wertvolle Kapazitäten vernichtet und weniger Sicherheit bietet als die heutigen Systeme.
  • Wir haben Programme wie SOPRE - oder RailOpt, das aber vorzeitig gestoppt wurde.

Die Liste liesse sich beliebig erweitern.

Die Schweizer Bahnen machen das alles mit, trotz den hohen Kosten. Weil sie Angst davor haben, den Anschluss zu verpassen. Das Schüren dieser Angst ist vor allem ein cleveres Geschäftsmodell und wird verkauft mit Schlagwörtern wie: «First-Mover», «Innovation» oder «Europakompatibilität».

Mittlerweile zeichnet es sich ab, dass wir mit diesen Systemen die vielen von der Politik bestellten Züge nicht stabil fahren können. Die von der Industrie versprochenen Lösungen werden die Eisenbahn nicht zuverlässiger und robuster machen, sondern nur die Kosten massiv nach oben treiben.

Und wenn man eine Verlängerung der Fahrzeiten plant, dann ist das keine physikalische Notwendigkeit, sondern die ersten Auswirkung eines realitätsfremden Konzepts.

Es ist eine Bankrotterklärung.

Wir hatten die meisten Zugsausfälle wegen Personalmangel und wegen der unzuverlässigen «innovativen» Technik. So haben wir im 2018 ganze Linien wegen Lokführermangel eingestellt und der Leman Express am Genfersee ist nie richtig zum Fliegen gekommen.

Die wichtigste Trumpfkarte der Eisenbahn jetzt und in Zukunft ist ihre Zuverlässigkeit. Und es ist schon erstaunlich, dass wir mit so modernen digitalen Systemen und so hohen finanziellen Investitionen die Stabilität der Eisenbahn nicht erhöht haben.

Das Ausmass der Digitalisierungen wird sich erst in den kommenden Jahren zeigen, wenn ein grosser Teil des Bahn-Knowhows verschwunden sein wird. Wie viele Kollegen in den nächsten Jahren in Pension gehen, ist bekannt.

Davor sollten die Bahnen und auch das BAV Angst haben. Die Weichenstellungen der nächsten Jahre werden entscheidend sein, ob wir in Zukunft bestehen werden.

IT-Lösungen funktionieren nicht automatisch, weil es IT-Lösungen sind. Wenn ein Problem nicht grundsätzlich verstanden wird, hilft auch keine künstliche Intelligenz.

Und: wir Lokführer argumentieren nicht aus einer Angst heraus, dass wir wegdigitalisiert werden könnten. Aber wir haben Angst vor «Assistenzsystemen», die unsere Kapazitäten Stück für Stück vernichten, bis sie eines Tages nicht mehr kompensiert werden können.

Das aktuelle Debakel im internationalen Verkehr nach München und Mailand zeigt eine weitere offene Wunde. Wenn die Milliarden-Investitionen in die Infrastruktur, wie die Elektrifizierung nach München und die Basistunnel am Gotthard und Ceneri weder zu spürbaren Zeitgewinnen und schon gar nicht zu stabilen Verbindungen führen, werden die Investitionen nicht effizient genutzt.

Sogar das Gotthard-Komitee, eine Interessenvertretung von 13 Kantonen, 8 Städten und z.B. der Zürcher- und der Tessiner Handelskammer schreibt in seiner Stellungnahme zum Fahrplan 2020, dass die Fahrzeitgewinne mit den Basistunnels am Gotthard und Ceneri weiterhin nicht vollständig realisiert werden. Und dies, obwohl der GBT seit vier Jahren in Betrieb ist. Ich zitiere: «Die Fahrzeit von 1h und 40 Min zwischen Lugano und Milano für einen Euro-City ist absolut nicht akzeptierbar.»

Eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 48 km/h über 80 km.

Aktuell versucht man in drei Stunden von Zürich nach Milano zu fahren. Es funktioniert nicht. Und die Ankunft in Mailand ist nicht in der Stazione Centrale, sondern in einem Nebenbahnhof. Wer solche Fahrplanübungen auf dem Buckel der Reisenden anordnet, arbeitet gegen unsere Eisenbahn.

1969, vor über 50 Jahren, fuhr der TEE Zug in 3 Stunden und 47 Minuten von Zürich nach Mailand. Noch ohne die beiden Basistunnels aber bereits mit automatischem Systemwechsel in voller Fahrt in Chiasso. Eine gewaltige Leistung, hervorgebracht durch Organisation, Qualitätsbewusstsein und Fachkenntnis der Detailprobleme.

Unseren extrem hoch getakteten Bahnverkehr in der Schweiz, welcher weltweit einzigartig ist und mit seinem Mischverkehr nicht einmal mit Japan verglichen werden kann, sollten wir nicht auf dem Altar von europäischen Normen opfern.

Die europäische Mittelmässigkeit darf nicht unser Ziel sein. Die Mittel der öffentlichen Hand könnten in Anbetracht der aktuellen Lage und der kritischen Beobachtung schnell versiegen.

Die Bahnen müssen gegenüber dem Eigner, den Behörden und der Industrie bestimmter auftreten und die wirklichen Bedürfnisse einfordern. Wir unterstützen nach Kräften.

175 Jahre Schweizer Bahnen

In diesem Jahr feiern wir 175 Jahre Schweizer Bahnen.

Ein guter Moment für einen Rückblick. Die Bahnlandschaft im vorletzten Jahrhundert war geprägt von vielen kleinen und kleinsten Bahnunternehmungen, welche sich nach und nach zusammenschlossen. Dies mit dem Ziel, besser, einheitlicher und zuverlässiger zu werden.

Der Kleinkrieg zwischen den Bahnen und die mangelnde Bereitschaft langfristig zu investieren, führte schliesslich nach einer Volksabstimmung zur Gründung der Schweizerischen Bundesbahnen im Jahre 1902.

120 Jahre später haben wir wieder viele Firmen, viele Tochterfirmen und viele private Player auf den Schienen. Das System wird immer komplexer, betreuungsaufwändiger und ineffizienter. Es verliert an Stabilität und Robustheit.

Neu gelten wieder unzählige linienbezogene Einschränkungen und technische Hürden. Diese hatten wir eigentlich 1960 mit den TEE-Zügen und dem frei einsetzbaren Rollmaterial europaweit überwunden.

Heute beschäftigen wir uns vor allem mit der Bürokratie: Wem gehört das Fahrzeug, wo ist der Lokführer angestellt, welches EVU stellt den Zug, wie fertigt das Zugpersonal ab und welche unterschiedlichen Vorschriften sind wann zu beachten. Und wenn der Prozess definiert ist, stellt sich die nächste Frage: Was geschieht, wenn ein Zug vorzeitig auf eine andere Leistung gewendet wird. Ein unendlicher Arbeitsbeschäftigungsmarathon zulasten der Kunden.

Wir sehen den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Und wir definieren unablässig Prozesse für die Abholzung der Bäume, um endlich den Wald wieder zu sehen.

Unser Bundespräsident Ignazio Cassis wählte als Hintergrund für das diesjährige Bundesratsfoto eine Schweizerkarte mit dem Bahnnetz.
Bundesrat Ignazio Cassis sagte dazu, dass die Eisenbahn wichtig ist, und ein Symbol dafür, was uns in der Schweiz eint. (Bild 2)

Es ist nicht selbstverständlich, dass eine Regierung ihre Eisenbahn als zentrales und vereinendes Element bezeichnet.

Dieses Vertrauen ist Gold wert. Wir sollten es nicht leichtfertig verspielen.

Wir vom VSLF leisten unseren Beitrag, dieses Vertrauen zu erhalten.

Vielen Dank.

Hubert Giger
Präsident VSLF


Begleitprogramm